Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 59

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hängen und großindustrieller Welthandel bei mittelalterlichen Verkehrsmitteln, sozialistischer Austausch bei privatwirtschaftlicher Produktion undenkbar sind, ebenso muß in dem bürgerlichen Staate, der nur die politische Organisation der kapitalistischen Wirtschaft ist, zwischen den einzelnen Funktionen volle Harmonie bestehen.

Eine moderne großindustrielle Kolonialpolitik setzt eine entsprechende Gestaltung des Militarismus, seine Befähigung zur Weltpolitik voraus. Eine aggressive schutzzöllnerische Handelspolitik findet ihre natürliche Ergänzung in der eroberungslustigen Kolonialpolitik. Der moderne Militarismus ist undenkbar ohne eine Finanzpolitik, die durch das System der indirekten Steuern entsprechende Mittel aus der Volksmasse herauszupressen versteht. Die Finanzpolitik, das heißt das Steuer-, Staatsschulden- und Monopolwesen, hängt sowohl direkt wie durch das Mittelglied der Börse mit der Industriepolitik aufs innigste zusammen. Militarismus, Handels- und Kolonialpolitik bestimmen in ihrer Gesamtheit den Inhalt und die Richtung der auswärtigen Politik.

Somit stellt die Zentralregierung eines modernen Staates ein Räderwerk dar, dessen einzelne Teile von allen Seiten ineinandergreifen und gegenseitig ihre Bewegungen bestimmen und regulieren. Der unmittelbare Transmissionsmechanismus, der das ganze Räderwerk in Gang bringt, ist das bürgerliche Parlament, aber die treibende Kraft sind dabei zunächst die Klassen- und Parteiverhältnisse im Lande und in letzter Linie – die Produktions- und Austauschverhältnisse der gesellschaftlichen Wirtschaft. Der kapitalistischen Einheitlichkeit der Ökonomik hier entspricht die bürgerliche Einheitlichkeit der Regierungspolitik dort.

Daraus ergibt sich zweierlei.

Erstens, daß, wenn man die Verantwortlichkeit jedes einzelnen Regierungsmitglieds für die Politik der Regierung im ganzen bestreitet und jedes Ressort des Ministeriums als eine in sich geschlossene unabhängige Machtsphäre betrachtet, dies auf einer völlig mechanischen Auffassung vom Staate beruht. Aus dem inneren Zusammenhang der einzelnen Funktionen der Regierung erwächst naturgemäß die solidarische Verantwortlichkeit ihrer einzelnen Mitglieder. Und der Paragraph der französischen wie jeder auf parlamentarischem Regime beruhenden Verfassung, der alle Minister in ihrer Gesamtheit für die Regierungspolitik verantwortlich macht, ist weder ein Zufall noch eine staatsrechtliche Spitzfindigkeit, sondern der adäquate juristische Ausdruck der Einheitlichkeit in der Funktion, die das Lebensprinzip selbst der bürgerlichen Regierung bildet.

Jaurès freilich betrachtet die solidarische Haftung des Ministeriums vor

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