Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 557

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der Stellung von Forderungen“, wobei sie den Rat erteilt, „nur so viel zu fordern, wie der Fabrikant geben kann, ohne das Unternehmen der Gefahr des Ruins auszusetzen“. Andererseits unterliegt es keinem Zweifel, daß die zaristische Regierung ökonomische Streiks in der gegenwärtigen revolutionären Zeit gern sieht, sie gibt sich nämlich der Täuschung hin, daß dadurch, daß die Energie des Proletariats auf den Kampf gegen die Ausbeutung gerichtet ist, das Schwert des Arbeiterkampf es von ihrer Brust abgewendet und zugleich die Bourgeoisie von ihrer Sympathie für die Freiheitsbewegung abgeschreckt und geheilt werden könne.

Die Sozialdemokratie muß ohne jedwede Rücksicht auf die Befürchtungen und die Wut der Bourgeoisie und die Spekulationen und Hoffnungen des. Absolutismus die ökonomischen Streiks von ihrem unabhängigen Standpunkt betrachten, d. h. vom Standpunkt der Interessen der Arbeitersache.

Vor allem wäre es ein Fehler und widerspräche dem Geist der Sozialdemokratie, den ökonomischen Kampf immer und unter allen Bedingungen auf dieselbe Weise einzuschätzen. Ein gewöhnlicher Streik einer einzelnen Fabrik oder eines Berufszweiges, der nur von dem Wunsch, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, hervorgerufen worden ist, hat eine ganz andere Bedeutung als jenes allgemeine Streikfieber, das plötzlich ausbricht und ganze Arbeitermassen, die elementar zum Kampf aufbrechen, erfaßt, indem es sich von einem Berufszweig auf andere überträgt und sich kreisförmig wie ein Sommergewitter über das ganze Land bewegt. Ein solches Streikgewitter hat die Masse unseres Proletariats schon einmal, wenn auch in unvergleichlich geringerem und schwächerem Maße, erfaßt, und zwar in der zweiten Hälfte der 80er Jahre[1], wobei es zugleich die Geburt der Massenbewegung der Arbeiter in unserem Lande bewirkte, aus der die erste sozialdemokratische Organisation des Königreichs hervorging: der Verband der Polnischen Arbeiter[2]. Dasselbe ereignete sich manchmal auch in kapitalistischen Ländern im Westen, in Deutschland, Frankreich und in der Schweiz, wo z. B. das allgemeine Streikfieber in der Hälfte der 60er Jahre gleich nach der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation und unter deren aktiver Beteiligung ausbrach.

Eine derartige Massenerhebung des Proletariats zum Kampf mit dem Kapital ist immer eine Krisenerscheinung im Leben der Arbeiterklasse,

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[1] In den Jahren 1887/1888 hatte sich die Arbeiterbewegung im Königreich Polen belebt. In der Hauptsache kam es in Lódz, Warschau, Bialystok, im Kohlenbecken von Dabrowa zu Streiks der Textilarbeiter, Gerber, Berg- und Hüttenarbeiter.

[2] Siehe Bd. 1/1, S. 6, Fußnote 2.