Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 550

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mit einer ihm fremden Sache auf, sondern zum Verstehen seiner eigenen Klasseninteressen, zum gemeinsamen Kampf mit uns um die gemeinsame Befreiung zuerst vom Joch des Absolutismus und danach von den Ketten der kapitalistischen Gesellschaftsordnung.

Auf diese Weise muß auch unsere Agitation unter den Truppen, auch wenn sie der gegenwärtigen Revolution angepaßt ist, den Charakter der allgemeinen, sozialistischen, klassenmäßigen Arbeiteragitation tragen. In dieser Agitation nutzen wir natürlich vor allem die Erregung der Gemüter und die Eindrücke aus, die auch im Heer von den auf Befehl des Zaren verübten Blutbädern der letzten Monate[1] hervorgerufen worden sind. Und das natürliche Ergebnis der Aufklärung, die wir, wenn auch nur in einen bestimmten Teil des Heeres, hineintragen, wird sein, daß in dem Augenblick, in dem das Volk zum Kampf um die Freiheit auftritt und der Befehl, uns zu morden, erteilt wird, ein Teil der Soldaten auf unsere Seite übergeht und ein anderer Teil schwankend wird. Schon diese Verwirrung, die dadurch im Heer entsteht, schwächt seine Kraft, seine Disziplin, gibt dem begeistert kämpfenden Volk das moralische Übergewicht. Und mit einer solchen Verwirrung, mit dem Schwanken der Truppen müssen wir mehr rechnen als mit einem Sieg über sie, errungen mit mörderischen Waffen.

Folglich sind auch hier die Aussichten auf unseren Sieg über die zaristische Regierung in der gegenwärtigen Revolution mit unserer gesamten Arbeit bei der klassenmäßigen Aufklärung aller Schichten des arbeitenden Volkes verbunden. Nicht durch künstliche Sprünge und abenteuerliche Einfälle, nach welchen die Sozialpatrioten oder die russischen Terroristen greifen müssen, werden wir den Sieg unserer gegenwärtigen Revolution beschleunigen und sichern. Die Sozialdemokratie bleibt zuch im gegenwärtigen Moment ihrer Aufgabe treu: der Aufklärung und der Organisierung des Proletariats für den Klassenkampf. Der gegenwärtige Kampf für den Sturz des Absolutismus ist nur eines der Momente dieses Klassenkampfes, und unser Sieg in dieser Revolution wird nur eines der Resultate unserer Arbeit sein, der „Bewaffnung“ der Volksmasse – der städtischen und der ländlichen, der im Arbeitskittel und der in der Uniform – mit der schrecklichsten Waffe, die wir ihr geben können, mit dem Verstehen ihrer ökonomischen und politischen Klassenbedürfnisse.

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[1] Nach dem Petersburger Blutsonntag vom Januar 1905 war es im Königreich Polen, besonders in den Industriezentren von Warschau, Lódz, Radom, Kielce, Czestochowa und im Kohlenbecken von Dabrowa zu Zusammenstößen zwischen polnischen Arbeitern und russischem Militär gekommen, bei denen Hunderte von Streikenden getötet wurden. Ihren Höhepunkt erreichten diese Kämpfe im Mai/Juni 1905.