Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 511

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geschickte Agitation alle revolutionären Momente der Situation ausnutzt, um die Volksklassen zum politischen Auftreten aufzustacheln.

Aber nimmermehr kann man die Revolution, sobald sie ausgebrochen ist, namentlich in der ersten Phase, nach dem Kommando dirigieren, nimmermehr kann man den elementaren Ausbruch der großen Masse auf einen bestimmten Tag, eine bestimmte Stunde – wie eine Theaterpremiere – ansetzen, und ebensowenig kann man die auf die Straße stürmenden Massen wie eine Kompanie eingedrillter Soldaten im Parademarschführen. Die Vorstellung von einer so „geleiteten“ Revolution ist schon aus dem Grunde völlig unhistorisch, weil sie den Ausbruch des revolutionären Sturmes erst in einem Moment annimmt, wo die ganze beteiligte Volksmasse bis auf den letzten Mann politisch aufgeklärt und zielbewußt, womöglich gar organisiert ist und der Leitung bestimmter Organe untersteht. Tatsächlich aber warten die Explosionen des Klassenkampfes niemals, bis die „Vorbereitungsarbeit“ nach dem obigen Schema hübsch nach dem Schnürchen abgelaufen ist. Die aufgehäufte, aufgespeicherte Menge instinktiver, halb unklarer Klassenopposition ist nämlich im Volke für gewöhnlich viel größer, als die Agitatoren selbst es annehmen. Und die Revolution ist eben selbst die unersetzliche Schule, die erst den Rest der Unklarheit der Masse im Sturme des Kampfes beseitigt und das, was noch gestern vielleicht Instinkt und dunkler Drang der Masse war, im Feuer der Ereignisse zum politischen Bewußtsein hämmert.

Deshalb sehen wir es in allen Revolutionen, daß sie im ersten Augenblick allerlei Überraschungen mit sich bringen, daß allerlei ganz zufällige Einflüsse, zufällige Leiter der letzten Stunde mitspielen und sogar an die Oberfläche kommen, so daß sie dem unkritischen Auge als Führer, als Träger der Revolutionen erscheinen, während sie in Wirklichkeit nur die Getragenen sind. Zu den typischen Erscheinungen solcher Zufallsführer der Revolutionen, die zu schieben glauben, während sie nur geschoben werden, gehört auch zweifellos der Petersburger Priester Gapon, gehört vor allem der ganze mit dem Segen der absolutistischen Regierung gegründete Arbeiterverein. Und es wäre eine unverzeihliche Oberflächlichkeit und Kurzsichtigkeit, wollte man den Charakter der ganzen Petersburger Erhebung danach beurteilen, daß an ihrer Spitze zunächst ein Geistlicher mit einem Kreuz und einem Zarenbilde schritt. Solche angeflogenen Einflüsse, wenn sie sogar im ersten Augenblick in den überlieferten, zurückgebliebenen Anschauungen der großen Masse einen fruchtbaren Boden finden mögen, werden in dem stürmischen Lauf der revolutionären Ereignisse mit rasender Eile überwunden und abgestreift. Die

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