Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 474

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zur Rückkehr zu der deduktiven Methode der alten Klassiker ist ein sprechendes Symptom dieses verzweifelten Zustandes.

Daß aber dieser Ruf selbst aus einer hoffnungslosen Unklarheit der heutigen Ökonomen über sich selbst wie über das Wesen der klassischen Nationalökonomie geboren ist, beweist der Umstand, daß sich z. B. als jüngster Herold der „deduktiven Methode“ kein anderer als der Frankfurter Professor Pohle meldet, der wissenschaftliche Vertreter des Hausbesitzervereins, die denkende Materie des städtischen Bodenwuchers, der theoretische Sachwalter des ins moderne, großstädtische Zeitalter übersetzten Shylockschen Rechts auf das proletarische Pfund Fleisch. Der Herr Professor hat also nicht die leiseste Ahnung, daß die „deduktive Methode“ der Klassiker nicht ein mechanisches Denkwerkzeug ist, das wie ein Korkzieher nach Belieben aus dem Schrank geholt und von jedem Kellner zur Bedienung der Herrschaften gebraucht werden kann, sondern daß es jener heiter-unbefangene homerische Blick auf die junge Welt ist, mit dem der Erzvater der Ökonomie, Adam, im Paradies der noch in Knospen stehenden bürgerlichen Gesellschaft in göttlicher Nacktheit lustwandelte. Nachdem die bürgerliche Wissenschaft vom Baume der Erkenntnis der Klassengegensätze genossen und, über ihre Nacktheit erschrocken, in den Beamtenfrack des besoldeten Professors schlüpfte, nachdem namentlich auch die Marxsche Erkenntnis in drei Millionen denkender Köpfe Fleisch geworden ist, ist es für die heutige Ökonomie ebenso möglich, zu der deduktiven Methode und zum Verständnis der Klassiker zurückzukehren, wie es für die heutige „naive“ deutsche Überbrettl-Lyrik möglich ist, zum süßen „Tandaradei“ Walthers von der Vogelweide „zurückzukehren“.

Deshalb vermögen wir auch nicht der optimistischen Erwartung Kautskys zuzustimmen, der in seiner Vorrede von einer nunmehr zu erwartenden Umkehr der bürgerlichen Nationalökonomie zum vertiefenden und befruchtenden Studium der klassischen Schule spricht. Immerhin mögen sich aber die Leuchten der Kathederweisheit merken, daß es gerade derjenige Vertreter des Marxismus ist, über dessen starre Exklusivität und doktrinäre Ketzerrichterei sie am meisten zu klagen pflegen, der in milder, weitherziger Menschlichkeit so weit geht, sogar von ihrem geistigen Distelstrauch zu erwarten, daß er noch einmal Feigen der wissenschaftlichen Erkenntnis tragen werde.

In gewissem Sinne ist allerdings nicht zu bezweifeln, daß sich auch die Professoralwissenschaft die neue Gabe Kautskys aneignen wird, wie sie von den früheren Entdeckungen Marxens bis auf den heutigen Tag zehrt – in der Weise nämlich, daß sie den gewaltigen Stoff in einzelne Partikel-

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