Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 472

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/472

seins herauskonstruiert und damit einerseits die Religion als solche vernichtet, andrerseits positiv [sich] selbst nur noch in dieser idealisierten, in Gedanken aufgelösten religiösen Sphäre bewegt“[1].

In derselben Weise bringt Marx in alle Wendungen des theoretischen Gedankens der bürgerlichen Ökonomie historischen Zusammenhang und damit helles Licht hinein. Namentlich scheinen uns dabei die eigenartigen Schicksale der Werttheorie ein besonderes Augenmerk zu verdienen. Es ist dies in der Tat eine interessante Tatsache, daß wir bereits im 17. Jahrhundert, also unter der Herrschaft der zunftmäßigen Warenproduktion, ein so tiefes Verständnis für die Arbeitswerttheorie finden, wie es von Petty, Locke, North an den Tag gelegt wird, während seit Ricardo, gerade im gleichen Schritt mit der vollen Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise, die jedenfalls durch die täglichen Preisrevolutionen im Zusammenhange mit technischen Umwälzungen die Grundlage des Arbeitswertes klarer als je zum Bewußtsein bringt, eine radikale Abkehr von der Arbeitswerttheorie und schließlich eine Flucht in die psychologischen Nebel der „subjektiven Schule“ stattfindet. Marx löst die Frage durch einige kurze Fingerzeige, indem er aufzeigt, daß gerade die ersten Konzeptionen der Arbeitswerttheorie nicht Sonntagsbetrachtungen müßiger „Erfinder“ der Nationalökonomie, sondern polemische Waffen des aufkommenden Kapitals gegen den herrschenden Grundbesitz, nicht Eingebungen eines in der Luft schwebenden „Forschungsgeistes“, sondern ideologische Abspiegelungen des Klassenkampfes der Bourgeoisie gegen den Feudalismus waren. Und daraus wird ohne weiteres klar, daß, sobald die Arbeitswerttheorie umgekehrt zur theoretischen Waffe des aufstrebenden Proletariats gegen die Bourgeoisie geworden war, sie für die letztere und ihre offizielle „Wissenschaft“ ein überwundener Standpunkt wurde – genauso wie der Liberalismus, wie die Demokratie. In striktem Parallelismus zu ihren politischen Wandlungen bleibt die Bourgeoisie auch in der Nationalökonomie nur so lange Trägerin der wissenschaftlichen Forschung, wie sie sich gegen die feudale Gesellschaft wendet, sie verfällt sofort in den Vulgarismus und das Apologetentum, sobald sie sich gegenüber die aufstrebende Arbeiterklasse erblickt. Und wenn sich die theoretische Geschichte des Sozialismus in der Richtung von der Utopie zur Wissenschaft bewegt, so schildert uns Marx zum erstenmal die Geschichte der bürgerlichen Ökonomie von der Wissenschaft zur Utopie – von der Erkenntnis der inneren Bewegungsgesetze der bürgerlichen Gesellschaft

Nächste Seite »



[1] Karl Marx: Theorien über den Mehrwert. In: Karl Marx/Friedrich Engels: Werke, Bd. 26, Erster Teil, S. 22.