Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 409

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Wohlgemerkt, die Arbeit in den polnischen Provinzen ist nicht nur mit Schwierigkeiten, sondern mit dem Auskosten von Ungeheuerlichkeiten verbunden. Erst vor kurzem konnte man z. B. in einem galizischen Blatt, das sonst international genug ist, aus der deutschen Parteikasse Subventionen zu beziehen, eine Notiz aus Posen lesen, wonach Genosse Gogowski „verduftet“ wäre, und zwar, wie aus der Notiz deutlich zu verstehen war, mit Parteigeldern in der Tasche – derselbe Gogowski, der natürlich zur Zeit ruhig in Posen saß, später als Delegierter auf dem Dresdener Parteitag anwesend war und jetzt nach wie vor in Posen als Parteiangestellter tätig ist.

Dergleichen Streiche werden aber fast täglich gegen die tätigsten Genossen in Posen und Oberschlesien geleistet. Eine sensible Natur würde einen solchen Krieg mit dem „Schrecklichsten auf Erden“ überhaupt nicht lange aushalten können, und Genosse Winter hat auch sein mutiges Ausharren auf dem Posten in Oberschlesien während der sieben Jahre unter tagtäglich auf ihn niederprasselnden albernsten Infamien mit seiner Gesundheit bezahlen müssen.

Daß in bezug auf meine Person von alledem das Zehnfache geleistet wird, und zwar in den Blättern der Sonderorganisation, in der galizischen Presse, ja in der Warschauer bürgerlichen Presse, wo in sozialnationalistischen „Korrespondenzen“ aus Deutschland und Galizien die giftigsten Pfeile auf mich abgeschossen werden unter den Fittichen der zarischen Zensur, die natürlich jede Entgegnung zu meinen Gunsten unterdrückt, das braucht nicht besonders hervorgehoben zu werden.

Um sich nun zum Sprachrohr einer solchen Kampfesweise zu machen, dazu gehört wahrhaftig zum mindesten ein bedauerlicher Mangel an moralischem Verantwortlichkeitsgefühl.

Zu meinem Entsetzen lebt aber Ledebour noch, laut seiner zu Protokoll gegebenen Erklärung, dem erhebenden Bewußtsein, mit seinem unnützen Poltern in der Polendebatte eine „Parteipflicht“ erfüllt zu haben! Nun, bei aller Hochachtung, Genosse Ledebour, solange kein offizielles Amt der „heiteren Person“ für polnische Angelegenheiten von Partei wegen geschaffen ist, bleiben diese Ihre Auftritte noch nicht „Parteipflicht“, sondern Privatliebhaberei von seltsamem Geschmack.

Friedenau-Berlin, den 19. Oktober 1903 Rosa Luxemburg

Vorwärts (Berlin),

Nr. 251 vom 27. Oktober 1903.

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