Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 404

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auf meinen Standpunkt in der polnischen Frage stellen würden, das heißt mit andern Worten, wenn sie auf die ihnen vom Parteivorstande vorgelegten Bedingungen eingegangen wären.

Man sieht, es sind die ehrenrührigsten Dinge, die Ledebour mir zur Last legte. Und welche sachlichen Anhaltspunkte hatte er für seine Behauptungen? Was zunächst meine falschen „Informationen“ betrifft, so ist es Tatsache, wovon Ledebour natürlich keine Ahnung zu haben braucht, daß ich überhaupt dem Parteivorstand gar keine „Informationen“ gegeben habe, außer auf Konferenzen, in Anwesenheit der Gegenseite, wo diese die ausgiebigste Möglichkeit hatte, ihre Ansichten und Behauptungen den meinigen entgegenzustellen.

Und überhaupt, man stelle sich die Sachlage vor. Die Zwistigkeiten mit einem Teile der polnischen Genossen brechen bereits im Jahre 1897 auf dem Hamburger Parteitage[1] aus, zu einer Zeit, wo ich noch nicht einmal in Deutschland ansässig war. Sie ziehen sich dann sechs Jahre lang hin; drei Konferenzen finden statt; die erste, im Dezember 1900, dauert zwei volle Tage und wird vom Parteivorstand zusammen mit der Generalkommission der Gewerkschaften geführt. Die zweite[2], unter Vorsitz des Parteivorstandes und unter Teilnahme von zehn Vertretern aus Posen, Schlesien und Oberschlesien und einem Dutzend Vertreter von der Gesamtpartei, dauert zwölf Stunden. In diesen Konferenzen werden stundenlang Jahrgänge der polnischen Blätter durchgesehen, Dokumente verlesen und übersetzt, alle Fragen politischen und persönlichen Charakters eingehend geprüft. Und außerdem findet eine Reihe von lokalen Konferenzen in der Provinz statt, in denen sich die Genossen Posens und Oberschlesiens mit derselben Sache befassen.

Und nun erscheint auf der Bildfläche ein Ledebour, und ohne an irgendeiner dieser Konferenzen teilgenommen zu haben, ohne das enorme gedruckte Material in polnischer und deutscher Sprache zu kennen, ohne von den Vorgängen, die sich seit Jahren in Posen und Oberschlesien abspielten und das Parteileben dort vergifteten, auch nur eine Ahnung zu haben, erklärt er sondern Skrupel und Bedenken: Ach was! Alles Schwindel! Rosa Luxemburg hat den Parteivorstand hinters Licht geführt, und dieser hat auf Grundlage jener falschen Informationen seine Beschlüsse gefaßt.

Genosse Ledebour wirft mit Ausdrücken wie „Schuft“ um sich, schon wo es sich um Meinungsverschiedenheiten in bezug auf Programmfragen

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[1] Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Hamburg fand vom 3. bis 9. Oktober 1897 statt.

[2] Die zweite Konferenz fand vom 19. Oktober 1902 in Berlin statt, eine dritte Zusammenkunft am 10. November 1902.