Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 395

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schem Seufzer der Partei zur Warnung und Ernüchterung vor die Augen halten zu müssen glaubte.

Und doch gehört nur ein wenig geschärftes Gehör dazu, um aus diesem schrillen Konzert der Freude und des Triumphes die zähneknirschende Enttäuschung, die verhaltene Wut herauszuhören. Gerade das allgemeine Mitgefühl und die Sympathie der bürgerlichen Presse für die angeblich von der heulenden Barbarenhorde mißhandelten paar „gebildeten Männer“, die Schmähungen über die „blinde Masse“ und ihre „Auflehnung gegen die Akademiker“ zeigen deutlich, wo die Wunde liegt, in die jetzt von der Partei rücksichtslos die Finger gelegt werden.

Lächerlich und barbarisch kann im heutigen bürgerlichen Milieu allerdings bis zu einem gewissen Grade der große Lärm erscheinen, der in der Sozialdemokratie um „Bagatellen“ geschlagen wird, die in jeder bürgerlichen Partei mit stillschweigendem Achselzucken des innigen Verständnisses aufgenommen worden wären. Grotesk das Bild einer Dreimillionenpartei reifer Männer, die sich so ereifert und eine Haupt- und Staatsaktion aus ein paar „Unaufrichtigkeiten“ macht, welche neben der Summe von Lügen, die einer der Helden der Zollmajorität in einer einzigen Reichstagssitzung oder ein Konservativer in einer einzigen Wahlrede leistet, wie ein armseliges Talglicht im blendenden Lichte der Mittagssonne verschwinden.

Rein persönlich, beschämend „persönlich“ ist freilich auch die Auseinandersetzung mit dem Revisionismus jetzt geworden, auch das muß von uns mit zerknirschtem Sinne zugegeben werden. Wir sind eben nicht in der bequemen Lage der Nationalliberalen oder des Zentrums, des Junkertums oder des Freisinns, die politische Korruption und den Betrug der Massen zur Grundlage der Parteiexistenz selbst gemacht zu haben, in der jeder einzelne unwürdige Streich wie ein Tropfen im gleichartigen Element des Meeres spurlos aufgeht.

Wenn übrigens die Auflehnung der proletarischen Masse in unserer Partei gegen die vereinzelten Erscheinungen der Korruption unter den „Akademikern“ die Bourgeoisie so in Harnisch bringt, so muß man ihr zugeben, daß sie mit sicherem Instinkt in den jetzigen Vorgängen bei uns gerade diejenige Seite der modernen Arbeiterbewegung herausgefühlt hat, die für sie in dem letzten halben Jahrhundert so verhängnisvoll geworden ist – den von der Sozialdemokratie herbeigeführten radikalen Umschwung in dem Verhältnis zwischen „Masse“ und „Führer“.

Das Goethesche Wort von der „widerwärtigen Majorität“, die aus wenigen kräftigen Vorgängern bestehe, „aus Schelmen, die sich akkommo-

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