Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 392

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gemacht, und zwar an derjenigen Stelle der Rede Heines, wo er unter andren Gegnern des Revisionismus einen ausländischen, seit kurzem in Deutschland tätigen Genossen[1] attackierte, den er notabene nicht andeutend, sondern ganz deutlich und korrekt mehrmals beim Namen nannte und dabei, was der Bericht des „Vorwärts“ verschweigt, seinen jetzigen Aufenthaltsort und sein Parteiamt in genauester Weise öffentlich angab.

Da dergleichen bereits zum zweitenmal dem Rechtsanwalt Heine passiert – zum erstenmal in Lübeck einem andren „Ausländer“ gegenüber – und da er auch mich zusammen mit den „Ausländern“ systematisch zu verunglimpfen sucht, indem er von „Springinsfeld-Radikalismus“ u. dgl. spricht, so muß ich hiermit feststellen, daß sowohl die von Heine genannten lästigen „Ausländer“ wie ich für die Verbreitung sozialistischer Ideen tätig waren lange Jahre bevor Heine durch seine Kanonen-Rede[2] sich in der Parteitätigkeit zuerst hervorgetan hat und wahrscheinlich schon zu einer Zeit, wo er noch tief in den Vorurteilen der Pückler-Bande[3] stak, die ihm jetzt noch in so hohem Maße anhaften, wie schon sein Auftreten in Lübeck und wieder die einleitenden Worte seiner Rede am 29. beweisen.

Zugleich halte ich es aber für mein Recht und meine Pflicht, hier öffentlich festzunageln, daß trotz der allgemeinen Entrüstung, die Heine mit seinen antisemitischen und ausländerfresserischen Ausfällen auf dem Lübecker Parteitag hervorgerufen hat, er auch jetzt nicht aufhört, den elementarsten Grundsätzen der internationalen Sozialdemokratie ins Gesicht zu schlagen. Ich stelle hier öffentlich die Frage, ob ein Mann geeignet ist, eines der höchsten Vertrauensämter[4] in der Partei zu bekleiden, der sich mit seiner Ausländerhetze moralisch auf das Niveau der preußischen Polizei und mit seinen antisemitischen Invektiven auf das Niveau des Grafen Pückler stellt und der zweimal eine Handlung öffentlich begangen hat, die objektiv eine Denunziation von Genossen an die Polizei bedeutet?

Endlich als Teilnehmerin der Versammlung des dritten Kreises protestiere ich öffentlich dagegen, daß W. Heine mit aller Gewalt die Vertagung der Debatten nach einer zweieinhalbstündigen Rede zu hindern

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[1] Wolfgang Heine hatte auf der Parteiversammlung am 29. September 1903 wie auch bereits auf dem Parteitag in Lübeck 1901 Rosa Luxemburg, Haller und besonders Parvus (Alexander Helphand) wegen ihres entschiedenen Auftretens gegen die Revisionisten angegriffen und sie als Stützen des Radikalismus bezeichnet.

[2] Wolfgang Heine hatte in einer Rede am 10. Februar 1898 im dritten Berliner Reichstagswahlkreis die Auffassung vertreten, die Sozialdemokratie könne einer preußisch-junkerlichen Regierung Militärforderungen für „Volksfreiheiten“ bewilligen. Mit diesem Kompromiß wollte Heine den antimilitaristischen Kampf der deutschen Sozialdemokratie revidieren.

[3] Gemeint ist der Antisemit Walter Graf von Pückler mit seinen Anhängern.

[4] Am 16. Juni 1903 war Wolfgang Heine als Abgeordneter des dritten Berliner Wahlkreises in den Reichstag gewählt worden.