Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 389

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studiert mit heißem Bemühen, bleibt nur die eine kapitalistische Krise immer noch für die „deutsche Wissenschaft“ ein Rätsel, zu dessen Aufklärung der Breslauer Außerordentliche schließlich einen verzweifelten Ausflug in die Mineralogie unternimmt, um unter der Wucht „anorganischer Stoffe“ die rebellische Marxsche Krisenlehre, die von Marx bloßgelegten provozierenden Gesetze der kapitalistischen Ausbeutung und Akkumulation zu erdrücken.

Wenn diese ad usum der herrschenden bürgerlichen Gesellschaft arbeitende „Wissenschaft“ seit dreißig Jahren dennoch vorgibt, den Acker der Sozialreform zu bearbeiten, so legt gerade die letzte Debatte über die Seemannsordnung[1] in der Hamburger Generalversammlung wieder dafür Zeugnis ab, daß es bei dieser andauernden Mystifikation in Wirklichkeit keine Mystifikation mehr gibt als für die Herren Gelehrten selbst. Die derbe Abfuhr, die sie mit ihrer schüchternen Kritik an den Praktiken des Großkapitals den Seeleuten gegenüber von den Vertretern der Seeberufsgenossenschaft erfahren haben, zeigte ihnen in empfindlicher Weise, daß das Kapital freilich nichts gegen das harmlose Geschwätz der „deutschen Wissenschaft“ einzuwenden hat, insofern es dazu taugt, den großen Lümmel Proletariat. einzulullen und von der Sozialdemokratie abwendig zu machen; daß es ihr aber sehr respektlos sofort den Mund verbietet, insofern sie in ihrer „vorurteilslosen“ Blödigkeit einmal vorbeitappt und sich umgekehrt, ein schwaches Echo der sozialdemokratischen Donnerstimme, gegen das Kapital selbst als Anwalt der Arbeiterinteressen zu wenden versucht.

Und die Quittung von entgegengesetzter Seite würde den Sombart, Schmoller, Berlepsch und Konsorten damit ausgestellt, daß sie gezwungen wären, öffentlich zu konstatieren, es sei ihnen trotz aller Liebesmühe nicht gelungen, auch nur einen einzigen „Herrn Arbeiter“ zu finden, der sich zu der ihm zugedachten Rolle verständigen wollte, in der erlauchten Korona „Königlicher Kaufleute“, moderner Professoren und sozialreformerischer Ex-Exzellenzen „unseren fleißigen Arbeiterstand“ zu vertreten und in kontradiktorischem Verfahren mit dem Kapital unter unparteilichem Vorsitz der „deutschen Wissenschaft“ die Sache seiner Klasse zu führen. Die Blüte der deutschen Arbeiterschaft hat den gelehrten Männern vom sozialen Gottesfrieden erst wieder am 16. Juni ostentativ den

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[1] Die Seemannsordnung, die am 29. April 1902 im Reichstag gegen die Stimmen der sozialdemokratischen Abgeordneten angenommen worden war, widersprach den Interessen der Seeleute. Auf der Generalversammlung des Vereins für Sozialpolitik wurde lediglich kritisiert, daß den Seeleuten das Koalitionsrecht verweigert wurde.