Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 349

https://rosaluxemburgwerke.de/buecher/band-1-2/seite/349

der Kampf des Proletariats auf dem Gesamtgebiet des russischen Staates die unerläßliche Bedingung für einen dauerhaften Sieg. Da andererseits die Arbeiterklasse selbst und nicht eine Handvoll ihrer sozialistischen Verschwöreranführer die Früchte des Sieges über den Zarismus, das heißt die demokratische Freiheit verwirklichen soll, ist auch die Herausbildung des höchsten Grades des klassenpolitischen Bewußtseins in allen Gruppen des Proletariats innerhalb des russischen Staates unbedingt notwendig.

Doch vom Verschwörerstandpunkt waren die polnischen Sozialisten von vornherein zur Untätigkeit verurteilt, zur Rolle passiver Zeugen, die vor den Wagen der russischen „Narodnaja Wolja“ gespannt wurden. Dem muß aber noch hinzugefügt werden, daß sich auch die „Narodnaja Wolja“ damals, als sich das „Proletariat“ mit ihr ernstlich und formell zum gemeinsamen Kampf verband, schon auf der schiefen Ebene befand. Seit dem Attentat auf Alexander II. ist ihre Geschichte ein fortschreitender Verfall, und seit der Mitte der achtziger Jahre läßt sich in der russischen Bewegung der zersetzende Einfluß der unvermeidlichen Zwangslage wahrnehmen, in der die Verschwörerpartei, die keine Kräfte hat, terroristische Attentate durchzuführen, davon zu leben beginnt, daß sie von ihnen spricht oder Versuche unternimmt, sie unter den ungünstigsten Bedingungen auszuführen. Als aber in Rußland, wo allein die Aktion stattfinden konnte, ein Vegetieren begann, mußte in Polen unfehlbar die Bewegung sehr schnell auf die abfallende Linie geraten. In Wirklichkeit hat das „Proletariat“ den Terror, von dem in seiner Agitation der letzten Jahre soviel die Rede war, überhaupt nicht ausgeübt. Die einzigen terroristischen Aktionen waren zwei Attentate: auf den Verräter Śremski und die Tötung der Verräter Helszer und Skrzypczyński.[1] Aber die Beseitigung von Spionen und Verrätern ist, wenn notwendig und möglich, unter den politischen Bedingungen des Zarismus einfach ein Akt der Selbstverteidigung und hat mit dem eigentlichen Programm und der terroristischen Taktik nichts gemein.[2]

Nächste Seite »



[1] Auf Beschluß des Zentralkomitees der Partei „Proletariat” war im Jahre 1883 in Zgierz auf Franciszek Helszer und Sremski und in Warschau auf Skrzypczyûski ein Anschlag verübt worden.

[2] Waryński stellt das in seiner Rede vor Gericht ausdrücklich fest und widerlegt damit die Behauptung des Staatsanwaltes, der dem „Proletariat“ die Anwendung von „innerem und äußerem“ Terror zugeschrieben hatte: „Unter dem Terrorismus werden solche Gewalttaten verstanden, die gegen Personen gerichtet sind, die ein bestimmtes politisches System repräsentieren. Es ist klar, daß darauf, was dem Herrn Staatsanwalt gefällt, den inneren und äußeren Terror zu nennen, das heißt auf die Tötung von Verrätern und Spionen, die Bezeichnung Terrorismus gar nicht angewandt werden kann. Mit der Existenz einer geheimen Organisation ist die Notwendigkeit verbunden, bestimmte Maßnahmen zum Schutz ihrer Sicherheit zu ergreifen. Das ist bis zu dem Grade natürlich, daß in den Statuten des berühmten Illuminatenordens, dem gekrönte Häupter und sogar Päpste angehörten, ein Paragraph enthalten war, der für Verrat die Todesstrafe vorsah.“ Z Pola Walki, S. 149. [Fußnote im Original]