Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 325

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letariat“ sowohl zu einem völlig harmonischen Zusammenwirken zwischen dem russischen und polnischen Sozialismus als auch zu einem Aufschwung der Massenbewegung der Arbeiter in Polen mit bewußt und deutlich sozialdemokratischem Charakter schon seit Anfang der achtziger Jahre führen müssen.

Weil es aber in Rußland zu jenem Zeitpunkt, als sich das „Proletariat“ organisierte, keine sozialdemokratische Bewegung gab, statt dessen nur eine Partei von Verschwörern blanquistischer Richtung, befanden sich somit die polnischen Sozialisten in einem Dilemma. Um ihr sozialdemokratisches Programm zu behalten, blieb ihnen nur, entweder auf das gemeinsame Programm und die gemeinsame Aktion mit den russischen Sozialisten zu verzichten und auf eigene Faust in Polen den Kampf um den Sturz des Zarentums durch Massenagitation und Organisation unter den polnischen Arbeitern zu beginnen oder aber, um ihrem Grundprinzip, der gemeinsamen Aktion mit dem russischen Sozialismus zu entsprechen, auf das sozialdemokratische Programm und den Massenkampf zu verzichten und sich den Kampfmethoden der „Narodnaja Wolja“ unterzuordnen.

Zwar sollte die Lösung des obigen Problems über das Schicksal des Sozialismus in Polen für fast ein ganzes Jahrzehnt entscheiden – und hat es in verhängnisvoller Weise entschieden –, doch zögern wir nicht zuzugeben, daß die Wahl des letzteren dieser beiden Wege unter den damaligen Bedingungen eine mehr als natürliche und verständliche Erscheinung war. Weil in dem politischen Kampf gegen das in Rußland herrschende System von Natur aus Rußland selbst das Hauptgebiet sein muß, das Königreich Polen dagegen erst in zweiter Linie in Betracht kommt, weil überdies die damalige „Narodnaja Wolja“ durch ihre zahlenmäßige Stärke sowie politische Bedeutung den polnischen Sozialisten um vieles voraus war und weil sie bereits einen so ansehnlichen politischen und moralischen Sieg hinter sich hatte, wie das Attentat vom 13. März[1], welches in den Augen der ganzen Welt ihr Programm und ihre Taktik zu sanktionieren schien, währenddessen sich das „Proletariat“ kaum zu einer Partei formiert hatte – angesichts dieser Umstände ist es verständlich, daß die polnische sozialistische Organisation danach streben mußte, sich der russischen Bewegung als ein Teil anzuschließen.

Wie sehr die „Narodnaja Wolja“ damals die Gemüter beherrschte und welche großen Hoffnungen auf einen nahen politischen Umsturz sie hervorrief, können die Worte von Fr. Engels bestätigen, die im Jahre 1894 geschrieben wurden. Über jene Epoche in Rußland sagte Engels: „Damals

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[1] Am 13. März 1881 war Zar Alexander II. bei einem Bombenanschlag der Narodowolzen getötet worden.