Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 323

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gen wird, wenn er sich auf die bewußte Aktion der organisierten Arbeiterklasse im ganzen Staat stützt.

Zweifellos erkennt heute weder die polnische noch die russische Sozialdemokratie den Terrorismus als ein geeignetes und zum Ziel führendes Kampfmittel an, sondern begreift, gerade durch die Erfahrung des „Proletariat“ und der „Narodnaja Wolja“ belehrt, daß der Terrorismus sich mit dem Massenkampf der Arbeiterklasse nicht verbinden läßt und ihn sogar direkt erschwert und gefährdet. Aber diese Erfahrung konnten Waryński und seine Genossen im Jahre 1881 natürlich noch nicht besitzen. Gewiß, als sie mit ihrem Aufruf gerade in dem Moment auftraten, da die russische Partei der Terroristen noch auf dem Höhepunkt ihrer Kraft zu stehen und den Zarismus in seinen Grundfesten zu erschüttern schien, mußten sie natürlicherweise an die Wirksamkeit und unbedingte Notwendigkeit des Terrorismus in Rußland glauben. Im übrigen finden wir genau dieselben Ansichten in den grundlegenden Arbeiten der russischen Sozialdemokratie, die die ganze programmatische und taktische Grundlage der „Narodnaja Wolja“ kritisch zerstörten, und zwar noch vier Jahre später, als Waryński sie geäußert hat.

Auffallend ist hier also nicht die Anerkennung des Terrorismus, sondern umgekehrt der Umstand, daß der Aufruf der polnischen Sozialisten bemüht ist, ihm sowohl sozialdemokratische Ziele als auch die Grundlage eines breiten Klassenkampfes zu verleihen.

Inwiefern eine solche Auffassung des damaligen russischen Sozialismus der Wirklichkeit entsprach, werden wir gleich sehen. Hier ist immerhin eine andere Seite der Sache wichtig. Es ist die Tatsache, daß die Gruppe Waryński auf dem Wege der Entwicklung des Programms zu einem rein sozialdemokratischen Standpunkt gelangte, daß sie von diesem Standpunkt aus als grundlegendes politisches Prinzip die Gemeinsamkeit der Aktion und das Gemeinsame des Programms mit den russischen Sozialisten geschlußfolgert hat.

Dieser Moment stellt den Kulminationspunkt in der Entwicklung der Gründer des „Proletariat“ und zugleich den Wendepunkt in ihrer Geschichte dar. Nachdem Waryński und die Genossen die reifsten politischen Konsequenzen gezogen haben, gehen sie an ihre Anwendung in der Praxis, an die formelle Organisierung der Partei „Proletariat“ im Lande heran, was ihre dritte und gleichzeitig letzte, die Endphase ihrer Entwicklung eröffnet.

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