Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 309

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Ebenso deutlich ist hier der Sozialismus auf eine rein klassenmäßige, moderne Grundlage gestellt:

„In Anbetracht dessen, daß sich die Interessen der Ausgebeuteten nicht mit den Interessen der Ausbeuter in Einklang bringen lassen und sie in keiner Weise im Namen einer fiktiven nationalen Einheit denselben Weg gehen können, in Anbetracht jedoch dessen, daß das Interesse sowohl der städtischen Arbeiter als auch des arbeitenden Volkes auf dem Lande ein gemeinsames ist, trennt sich das polnische Proletariat vollkommen von den privilegierten Klassen ab und nimmt mit ihnen als selbständige, in ihren ökonomischen, politischen und moralischen Bestrebungen völlig verschiedene Klasse den Kampf auf.“[1]

Indem der Aufruf dann von vornherein auf den von Grund auf internationalen Charakter des sozialistischen Klassenkampfes hinweist, unterstreicht er schließlich, daß „die Grundlage der gesellschaftlichen Verhältnisse die ökonomischen Bedingungen sind, daß also alle anderen Erscheinungen des gesellschaftlichen Lebens diesen Bedingungen untergeordnet sind“[2], womit er den historischen Materialismus als das Fundament seiner Weltanschauung formell anerkennt.

Insofern waren die Anschauungen des „Proletariat“ in allen ihren entscheidenden Punkten eine Übertragung der Prinzipien des Kommunistischen Manifestes von Marx und Engels auf polnischen Boden.

Aber diese allgemeine Kritik des Kapitalismus besagt an sich noch nichts über die Art der direkten Aktion der Partei, über ihr politisches Programm und ihre Taktik. Zwischen der Anerkennung der allgemeinen Grundlagen des wissenschaftlichen Sozialismus und den sich daraus ergebenden entsprechenden Schlußfolgerungen in bezug auf die Tätigkeit der Partei und ihre Aufgaben, mit einem Wort, zwischen der Theorie des Kommunistischen Manifestes und dem direkten Programm und der Praxis der Sozialdemokratie liegt ein ganzer Abgrund. Die politischen Anschauungen des „Proletariat“ wurden dagegen entscheidend von der russischen „Narodnaja Wolja“ beeinflußt.

Diese entsprach in ihrer ganzen geistigen Gestalt vollkommen anderen gesellschaftlichen Bedingungen. Auf dem Boden einer schwach entwickelten kapitalistischen Wirtschaft der im Gesamtkomplex des gesellschaftlichen Lebens überwiegenden landwirtschaftlichen Verhältnisse und der Überreste der jahrhundertealten russischen Gemeindeherrschaft entstanden, stützte sich die sozialistische Theorie der „Narodnaja Wolja“ nicht

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[1] l. c., S. 29. [Fußnote im Original]

[2] l. c., S. 32. [Fußnote im Original]