wenigstens jetzt in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ lernen, wie eine echte radikal-demokratische Politik aussieht.
Und da werden sie auch die oberste Lehre aus diesem klassischen Experiment ziehen können. Was war in letztem Schluß das Ergebnis dieser im günstigsten historischen Moment, mit größtem Geschick, mit glänzendsten Mitteln des Genies geführten Taktik? Ist es der „Neuen Rheinischen Zeitung“ etwa gelungen, wirklich die Bourgeoisie auch nur um Haaresbreite nach links zu drängen, einen namhaften Flügel radikalerer Elemente um sich zu gruppieren, auf den Gang der Revolution irgendeinen Einfluß zu üben, die zweite große revolutionäre Welle heraufzubeschwören, wie einst der in Pariser Kellern geschriebene „Ami du Peuple“ Marats die Herrschaft des französischen Proletariats im Konvent vorbereitet hatte? Nichts von alledem! Die „Neue Rheinische Zeitung“ ist eine Ehrenrettung für die Annalen der deutschen Revolution, aber zugleich in dieser Revolution ein ganz isolierter Posten, eine Stimme in der Wüste geblieben. Damit ist auch die bewußte Rolle des linken Flügels der bürgerlichen Demokratie für den Sozialismus ein für allemal ausgespielt worden.
Es geht von den Mehringschen Büchern ein großer Hauch. Im ersten Bande war es der Reflex einer großen Epoche geistiger Kämpfe, die für Deutschland tempi passati sind. Es ist dies in diesem letzten Bande das Wehen einer großen Revolutionszeit, die gleichfalls vergangen. Und diese großen Zeiten, aus denen sich die mächtigen Gestalten unsrer Meister abheben, so groß erfaßt und wiedergegeben zu haben, daß man, vor dies Bild der Vergangenheit geführt, für einen Augenblick die ganze Misere des Alltags vergißt und sich nach einer ähnlichen Zukunft sehnt, das ist ein bleibendes Verdienst Mehrings vor der deutschen Arbeiterklasse.
Vorwärts (Berlin),
Nr. 263 vom 9. November 1902.