Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 298

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studieren. Die ‚Neue Rheinische Zeitung‘ findet in den großartigen Klassenkämpfen, die innerhalb der französischen Republik vorgehen, interessantere Gegenstände des Studiums als in einer Republik, wo die Klassenkämpfe im Westen noch nicht existieren und im Osten nur noch in der alten lautlosen englischen Form sich bewegen. Für Friedrich Hecker sind die sozialen Fragen Konsequenzen der politischen Kämpfe, für die ‚Neue Rheinische Zeitung‘ sind die politischen Kämpfe nur die Erscheinungsformen der sozialen Kollisionen. Friedrich Hecker könnte ein guter trikolorer Republikaner sein. Die eigentliche Opposition der ‚Neuen Rheinischen Zeitung‘ beginnt erst in der trikoloren Republik.“[1]

Die Kritik, und zwar in aller Schärfe und Tiefe, die sich aus der materialistischen Auffassung der Klassenkämpfe und aus dem tiefen Verständnis für die Vorgänge in Frankreich ergab, das war der Beruf von Marx und Engels in der Revolutionsperiode. Aber die Kritik selbst wurde hier von Marx und Engels – und dies ist unsres Erachtens die wichtigste Erkenntnis, die aus diesem letzten Bande ihres Nachlasses authentisch hervorgeht – vom bürgerlichen radikal-demokratischen Standpunkt geübt. Wenn die „Neue Rheinische Zeitung“ auf Schritt und Tritt die Indolenz, Inkonsequenz und Feigheit der Nationalversammlung geißelt, wenn sie die Auflösung des Bundestages, die Absetzung aller Beamten der vormärzlichen Zeit, die Erklärung Deutschlands zum Einheitsstaat, endlich die Steuerverweigerung in der Novemberkrise fordert, so tut sie nur, was jede entschiedene bürgerlich-demokratische Partei in der Revolution von 1848/1849 hätte tun müssen, wenn es ihr mit der Revolution und der Demokratie Ernst war. So revolutionär entschlossen die Sprache von Marx ist, er fordert nichts, was gegen die bürgerliche Wirtschafts- oder politische Ordnung gerichtet wäre, was spezifisch sozialistischen Charakter tragen würde. Die Politik der „Neuen Rheinischen Zeitung“ in der Revolutionsperiode war, ausgenommen die Beleuchtung der französischen und englischen Klassenkämpfe, die des konsequenten bürgerlichen Radikalismus. Zu der eigentlichen (also wohl sozialistischen) Opposition der „Neuen Rheinischen Zeitung“, die erst in der trikoloren Republik beginnen sollte, war es während der Revolutionsperiode nicht gekommen. Bezeichnenderweise schickte sich die „Neue Rheinische Zeitung“ knapp vor ihrem Untergang an, eine neue Taktik, mehr reine Arbeiter- und Klassenpolitik zu führen, erlag jedoch gerade in diesem Moment den Streichen der Konterrevolution.

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[1] Karl Marx: Der Staatsprokurator „Hecker“ und die Neue Rheinische Zeitung“. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 5, S. 443.