Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 273

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Und noch eine Lehre ergeben die Posadowskys als Wortführer der „internationalen sozialpolitischen Überzeugung“.

Im Anfang der bürgerlichen Sozialreform war das Wort, d. h. der „hinter den Arbeitern“ stehende außerordentliche Professor Sombart, das hinter den Klassen schwebende klassen- und vorurteilslose soziale „Wohlwollen“.[1]

Am Ende erscheinen als die Tat, als die Verwirklichung des klassenlosen Wohlwollens – der Vater der Zuchthausvorlage und der Kartell-Möller. Die „hinter den Arbeitern stehende Wissenschaft“ entpuppt sich in der Praxis als der den Arbeitern mit Zuchthausvorlagen auf die Brust rückende Kapitalismus.

Und dies ist kein Zufall und kein Mißverständnis. Die auf die sogenannten „weißen Raben“ der Bourgeoisie berechnete, von lauter „außerordentlichen“ Krethi und Plethi inaugurierte bürgerliche Sozialreform bildet sich zwar ein, gerade in der Vermittelung zwischen den Klassen ihr historisches Mandat zu haben. Andererseits kommt sie von vornherein als die Negation aller „grauen Theorie“, aller himmelstürmenden Deduktion, als die geborene Praxis zur Welt. Sobald aber die sozialreformerische theorielose „Praxis“ praktisch werden soll, steht sie vor der elementaren Frage der Macht. Ohne Macht gibt es hienieden keine „Praxis“. Woher aber die Macht nehmen?

Selbst sind die „außerordentlichen“ Sozialreformer gerade als solche, als die geborene Klassenlosigkeit zugleich auch die geborene Machtlosigkeit. Außerhalb ihrer gibt es aber nur zweierlei Macht – die himmelstürmende Arbeiterklasse und auf dem Gegenpol die Posadowskys als Wächter des Zuchthauses. Sich auf die Arbeiter stützen? Aber gerade die Arbeiter sollen in ihren Sturmtheorien durch die „Praxis“ überwunden werden. Also bleibt als die einzige reelle Macht zur Verwirklichung des bürgerlichen sozialreformerischen Wohlwollens – der Posadowsky.

So entwickelt sich der in der Einbildung bürgerlicher wie unserer Phantasten einheitliche Begriff „Sozialreform“ in der Wirklichkeit zu einem scharfen Gegensatz: zu einer proletarischen und zu einer bürgerlichen Sozialreform. Jene wird durch die Macht der Tatsachen zu der Erkenntnis geführt, daß zwischen „den Gewerkschaften und der Sozialdemokratie keine Trennung statthaben kann“, d. h., daß sie nur durch den Klassenkampf verwirklicht werden kann, diese wird ebenso durch die Macht der Tatsachen nach dem entgegengesetzten Pol gedrängt – in die Arme des Vaters der Zuchthausvorlage.

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[1] Rosa Luxemburg bezieht sich auf ihre Auseinandersetzung mit den sozialreformerischen Ansichten Werner Sombarts im Jahre 1900. (Siehe Die „deutsche Wissenschaft“ hinter den Arbeitern. In: GW, Bd. 1/1, S. 767–790.)