Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 272

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schaften kann keine Trennung statthaben, beide müssen sich ergänzen.“ Dort also ist Klassenaussöhnung, hier Klassenkampf die Parole. Und auf die Hoffnungen der Exzellenzen-Sozialreform antwortet die proletarische: lasciate ogni speranza, laßt alle Hoffnung fahren!

Auch außer diesem Grundgegensatz, auch im Detail, bieten die zwei Kongresse ein interessantes Pendant zueinander.

Seit im Jahre 1847 durch den historischen Ruf Marxens: Proletarier aller Länder, vereinigt euch! die internationale Arbeiterbewegung aus der Taufe gehoben wurde, dauert eine wütende Hetze aller „gutgesinnten“ Parteien und Gruppen, aller Vertreter der bestehenden Ordnung, der ganzen bürgerlichen Welt gegen die „vaterlandslosen Gesellen“, gegen den internationalen Gedanken des Proletariats. Je mehr die Arbeiterklasse aller Länder sich zum höchsten kulturellen und historischen Weltbürgertum entwickelt, um so krampfhafter stürzt sich die alternde Bourgeoisie einem barbarischen Chauvinismus in die Arme. Und nun, was sehen und hören wir? „Ich sehe das Schwergewicht Ihrer Versammlung nicht in der noch so schätzenswerten Behandlung von Einzelfragen, sondern vielmehr in dem sichtbaren Ausdruck einer gemeinsamen internationalen sozialpolitischen Überzeugung.“ So sprach der offizielle Vertreter der deutschen Reichsregierung, Graf Posadowsky, auf dem Kongreß in Düsseldorf. Der Schöpfer der Zuchthausvorlage, der den sozialpolitischen Internationalismus feiert und auf den Schild erhebt – das ist wohl einer der größten Triumphe der proletarischen Vaterlandslosigkeit!

Allerdings, es ist eine andere, es ist die umgekehrte Seite der sozialen Entwicklung, die auch den Bekennern der Religion des Nationalitätenhasses internationale Einsicht eingepaukt hat. Vor allem die konkurrierenden Interessen des nationalen Kapitals, das Interesse an der Ausgleichung der durch sozialpolitische „Opfer“ bedrohten Profitquote auf dem Weltmarkte, ferner die internationale Solidarität in der Angst vor der Arbeiterbewegung und dem Wunsche, sie zu bekämpfen, haben die Posadowskys aller Länder zur „gemeinsamen internationalen sozialpolitischen Überzeugung“ gebracht. Es ist sozusagen die internationale Zuchthausvorlage, was als historischer Kern und als der umgekehrte Zweck hinter der internationalen Exzellenzen-Sozialreform steckt. Es ist gewissermaßen eine sozialpolitische „Heilige Allianz“, was in Düsseldorf seine Beratungen abhält.

Aber gerade in dieser entgegengesetzten Form bildet die „internationale sozialpolitische Überzeugung“ der heutigen kapitalistischen Regierungen die denkbar glänzendste historische Probe auf die gewaltige Marxsche Deduktion, auf den internationalen Grundgedanken der Sozialdemokratie.

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