Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 247

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greifung der Staatsgewalt durch die Arbeiterklasse erst das Ergebnis einer mehr oder weniger langen Periode des regelmäßigen täglichen Klassenkampfes sein könne, in dem die Bestrebungen zur fortschreitenden Demokratisierung des Staates und des Parlamentarismus ein äußerst wirksames Mittel zur geistigen und zum Teil materiellen Hebung der Arbeiterklasse darstellen.

Das ist aber auch alles, was die deutsche Sozialdemokratie praktisch nachgewiesen hat. Weder ist damit die Gewalt aus der Geschichte überhaupt noch gewaltsame Revolutionen als Kampfmittel des Proletariats ein für allemal wegdekretiert und der Parlamentarismus zur einzigen Methode des Klassenkampfes erhoben worden. Ganz im Gegenteil, die Gewalt ist und bleibt die Ultima ratio auch der Arbeiterklasse, das bald in latentem, bald in aktivem Zustand wirkende oberste Gesetz des Klassenkampfes. Und wenn wir durch die parlamentarische wie jede andere Tätigkeit die Köpfe revolutionieren, so geschieht es, damit schließlich im Notfall die Revolution aus den Köpfen in die Fäuste hinuntersteigt.

Allerdings nicht aus Vorliebe für Gewalttaten oder für revolutionäre Romantik müssen die sozialistischen Parteien früher oder später, in Fällen, wo unsere Bestrebungen sich gegen vitale Interessen der herrschenden Klassen richten, auch auf gewaltsame Zusammenstöße mit der bürgerlichen Gesellschaft gefaßt sein, sondern aus bitterer historischer Notwendigkeit. Der Parlamentarismus als alleinseligmachendes politisches Kampfmittel der Arbeiterklasse ist ebenso phantastisch und in letzter Linie reaktionär wie der alleinseligmachende Generalstreik oder die alleinselig-machende Barrikade. Freilich ist die gewaltsame Revolution unter den heutigen Verhältnissen ein äußerst schwer anwendbares, zweischneidiges Mittel. Und wir dürfen auch erwarten, daß das Proletariat von diesem Mittel nur dann Gebrauch machen wird, wenn es den einzigen passierbaren Weg für sein Vordringen darstellt, und selbstverständlich nur unter Bedingungen, wo die gesamte politische Lage und das Kräfteverhältnis mehr oder minder die Wahrscheinlichkeit des Erfolges verbürgen. Aber die klare Einsicht in die Notwendigkeit der Gewaltanwendung sowohl in einzelnen Episoden des Klassenkampfes wie zur endgültigen Eroberung der Staatsgewalt ist dabei von vornherein unerläßlich, sie ist es, die auch unserer friedlichen, gesetzlichen Tätigkeit den eigentlichen Nachdruck und die Wirksamkeit zu verleihen vermag.

Wollte die Sozialdemokratie wirklich einmal, wie ihr die Opportunisten nahelegen, von vornherein und ein für allemal auf den Gebrauch der Gewalt verzichten und die Arbeitermassen auf die bürgerliche Gesetz-

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