Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 222

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Das eigene Kind! Haben wir es nicht tausendmal gehört, daß die Familie – die heutige, privatwirtschaftliche, zivilstandesamtlich gegründete, auf der Privaterziehung basierende Familie – der Eckstein der bürgerlichen Ordnung ist? Haben wir es nicht gehört, daß diese Familie wie das höchste Gut, wie der Thron und Altar vor der frevelnden Hand der Sozialdemokratie gehütet, gerettet werden muß?

Nun, wir wissen auch, daß die bürgerliche Gesellschaft auch hier wie sonst, wenn sie nach uns hinhaut, nur sich selbst trifft. Nicht wir, ihre eigene Wirtschaft, ihr eigenes Treiben zerstört, untergräbt, zermalmt das heilige Institut der Familie. Nicht wir, sie selbst treibt die Familienmutter hinaus auf den Markt – den Markt für Arbeitskräfte wie für Frauenleiber –, nicht wir, sie selbst reißt Kinder vom Familienherde und spannt sie an das Rad der Arbeit.

Aber nun der Widersinn des Widersinns, der Aberwitz, der sich selbst auf den Kopf stellt. Die bürgerliche Gesellschaft erschrickt vor ihrem eigenen Werk, sie greift nach Maßregeln, um die Früchte des eigenen Tuns abzuschaffen, die Kinder sollen geschützt und bei diesem Schutz selbst soll die Elterngewalt geachtet, die Elternliebe berücksichtigt werden. Und worin äußert sich das? In der größeren Ausbeutungsfreiheit der Eltern gegenüber eigenen Kindern als gegenüber fremden! Der eigene Familienherd soll dem proletarischen Kinde von Rechts wegen ein tieferer Kreis der kapitalistischen Hölle werden als der fremde! Die eigenen Eltern sollen von Rechts wegen grausamere Peiniger werden als Fremde! Der eigene Familienschoß soll für das proletarische Kind von Rechts wegen längere Arbeit, größere Schutz- und Wehrlosigkeit vor der Qual des Früherwerbs bedeuten!

Das eigene Kind! Die weisen Vertreter der bürgerlichen Gesellschaft fühlten, merkten gar nicht, welchen Schlag sie ihren „höchsten Gütern“, der Familie, der Kinderliebe, dem häuslichen Herde, versetzten, indem sie den proletarischen Eltern erklärten: Zum Schutze eurer untergrabenen Elterngewalt, eures verwahrlosten Familienherdes können wir euch nichts anderes sichern als die Freiheit, eure eigenen Kinder mehr für das heilige Kapital auszubeuten als fremde; und den proletarischen Kindern: Zum Schutze eurer vernichteten Kindheit, eures zerstörten Familienlebens, eurer erschütterten Kindesliebe können wir euch nichts anderes gewähren als die Möglichkeit, von euren eigenen Eltern rücksichtsloser an die harte Arbeit gekettet zu werden als von Fremden!

Sie treibenʼs, die sozialpolitischen Retter der bürgerlichen Heiligtümer, wie einer, der im Sumpfe steckt und sich aus ihm mit Verzweiflung heraus-

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