Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 209

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„Es ist zu früh oder zu spät“, sagte darauf Vandervelde. „Wir Sozialisten müssen das Wort des Evangeliums aufnehmen: Du wirst nicht töten!“ „Aber“, führte der Führer weiter aus, „der Kampf wird fortgeführt, hartnäckiger, grandioser, fester denn je. Der Streik wird, wenn er fortdauert, von endgültiger Wirksamkeit sein ... Das Wort gehört dem König ... Wir warten, Gewehr bei Fuß.“

Die Fortsetzung des Generalstreiks war also die von den sozialistischen Führern gleich nach der parlamentarischen Niederlage ausgegebene Parole. Am Freitag beschloß noch der Generalrat der Arbeiterpartei einstimmig die Fortsetzung des Generalstreiks. Am Sonnabend schrieb noch das Zentralorgan der belgischen Sozialdemokratie, der Brüsseler „Peuple“:

„Wenn die belgischen Arbeiter fest und um jeden Preis entschlossen sind, die Niederlage nicht zu akzeptieren, solange sie noch Atem in der Brust, Energie im Herzen haben, so sagen wir ihnen: Legt die Waffen nicht ab! Trotz Leiden, Opfer, Drohungen des Elends, haltet aus in dem heiligen Streik des allgemeinen Wahlrechts! Bleibt aufrecht stehen, damit man euch wenigstens unter dem Drucke der liberalen Bourgeoisie und aller offiziellen Vertreter des Handels und der Industrie die legale Befragung des Landes über das allgemeine Wahlrecht (Neuwahlen zum Parlament – Die Redaktion) zugesteht!

Leiden, Opfer, Elend, wir wollen sie mit euch teilen, und ein wunderbarer Elan der Solidarität unter verschiedenen Klassen und Nationen beginnt sie ja bereits zu mildern!

Genossen, gebt nicht nach! Setzt den Generalstreik fort und erhebt überall einen mächtigen Ruf nach der Parlamentsauflösung!

Die Auflösung des Parlaments ist freilich keine Lösung! Aber die Auflösung, das ist die Revisionsfrage, gestellt in ihrer ganzen Größe vor dem Lande am 25. Mai[1], und wir haben die unerschütterliche Sicherheit, daß dies doch den endgültigen Sieg des allgemeinen Wahlrechts bedeuten würde!

Wir alle, die wir so die Buren[2] bewundert haben, belgische Arbeiter, werden wir es denn nicht verstehen, es ihnen in moralischer Größe, in der Selbstaufopferung gleichzutun?

Die Fortsetzung des Generalstreiks, das ist die Rettung des allgemeinen Wahlrechts, das ist die künftige Revanche, das ist der schließliche Sieg des Volksrechts, trotz alledem!

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[1] Am 25. Mai 1902 wurden in Belgien verfassungsmäßig festgelegte Teilwahlen durchgeführt, bei denen die Hälfte der Abgeordneten für die belgische Kammer neu gewählt wurde. Für die Arbeiterpartei waren diese Wahlen ein Mißerfolg.

[2] Nach der Entdeckung von Goldfeldern in Transvaal hatte England im Oktober 1899 einen Krieg gegen die Burenrepublik in Südafrika provoziert. Nach anfänglichen militärischen Schwierigkeiten gelang es England durch einen brutalen Unterdrückungsfeldzug, die Buren im Mai 1902 der britischen Herrschaft zu unterwerfen.