Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 193

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bliken, die weiter nichts waren und vielleicht noch nichts anderes sind als Oligarchien der Finanziers oder des Konfessionalismus; warum sollte man sich in dieser Periode der Entwicklung, des Übergangs und des Ausgleichs nicht auch mit einer konstitutionellen Monarchie abfinden, welche sich in loyaler Weise einer ehrlichen und weitgehenden demokratischen Politik anpaßte und die in keiner Weise versuchen würde, die Vorwärtsentwicklung aufzuhalten.“

Die Berufung unserer belgischen Parteigenossen auf die Periode des Übergangs und der Entwicklung hat gewiß manches für sich. Insbesondere die geschichtliche Erfahrung, daß in Zeiten der politischen Umwälzung sehr häufig die Parteien ihre Rollen zu vertauschen scheinen und konservative Parteiführer revolutionäre Programme durchführen, um regierungsfähig zu bleiben, während die oppositionellen Parteien ihre Absicht durchschauen und dieser politischen Prinzipienfälschung äußersten Widerstand entgegensetzen. Schon Arnold Ruge hat seinerzeit darauf hingewiesen, wie in dem großen englischen Machtkampf zwischen Tories und Whigs die Tories nur dadurch sich am Ruder halten konnten, daß sie das Programm der Whigs durchführten.

Später haben in Deutschland Bismarck und in England Disraeli fast gleichzeitig dieselbe Politik getrieben. Bismarck griff zum allgemeinen, gleichen Wahlrecht mit dem ausgesprochenen Zweck, die Masse des deutschen Volkes, die er im Grunde für durchaus konservativ hielt, gegen die plutokratischen Bestrebungen der Bourgeoisie auszuspielen. Und in England machte Disraeli seinen torystischen Parteigenossen die Wahlrechtserweiterung mit der Begründung mundgerecht, „er wolle so tief graben, bis er wieder auf eine konservative Schicht stoße“.

Die belgischen Klerikalen glauben nun eine noch tiefer liegende konservative Bevölkerungsschicht gefunden zu haben: die Frauen. Und die Sozialisten widersetzen sich dieser Wahlrechtsänderung, deren Perfidie sie durchschauen, ebenso kurzsichtig, wie die Klerikalen sie befürworten.

Denn zuletzt haben alle die konservativen Revolutionäre ihre Rechnung ohne den Wirt gemacht. Bismarck würde heute das allgemeine, gleiche Wahlrecht nie mehr geben, und die eifrigsten Hüter seiner Politik, die Konservativen und Scharfmacher, sind jetzt die geschworenen Feinde des Reichstagswahlrechts.

Aber auch die Hereinziehung der Krone als einer politischen Macht, die „über den Parteien“ steht, ist nicht bloß prinzipiell, sondern auch taktisch höchst bedenklich. In Rußland mag die Krone eine politische Macht, die ihren eigenen Schwerpunkt in sich selbst hat, repräsentieren; die Auf-

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