Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 137

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deln und die Frage zu stellen: „Wo also die positive Möglichkeit der deutschen Emanzipation?“[1]

Zweitens brachte ihm dieser ständige Kontakt mit praktischen Zeitfragen jedesmal die Unzulänglichkeit seiner idealistischen Weltauffassung empfindlich zum Bewußtsein und trieb ihn so wieder zu Untersuchungen und Versuchen an dem Hauptproblem: dem allgemeinen Gesichtspunkt, von dem aus alle Teilprobleme des praktischen und geistigen Lebens harmonische Beleuchtung und einheitliche Lösung finden.

Mehring sagt mit Recht, Marx wäre mit dem letzten von ihm für die „Rheinische Zeitung“ geplanten, doch nicht mehr ausgeführten Artikel über die rein ökonomische Frage der Bauernparzellation vom Hegelschen Standpunkt wohl nicht mehr fertig geworden. Eigentlich ist er von diesem Standpunkt bereits bei den früher von ihm behandelten praktischen Fragen im Stich gelassen worden. Freilich war es die schneidende Waffe der Hegelschen Dialektik, die ihn die Verhandlungen des Rheinischen Provinziallandtags über Preßfreiheit wie über Holzdiebstahl kritisch so glanzvoll abschlachten ließ. Aber es war doch nur die Dialektik, die Methode des Denkens, die ihm hier den Dienst erwies; was den Standpunkt selbst, die sachliche Stellungnahme betrifft, so will es uns scheinen, daß Marx bereits hier, indem er für Preßfreiheit und für das Recht des armen Bauern auf freie Holzlese im Walde eintrat, eher der Hegelschen Rechts- und Staatsphilosophie seine Gesichtspunkte oktroyierte, als daß er sie von ihr ableitete. Es war vor allem, wie Mehring selbst sagt, die tiefe und wahre Sympathie, die Marx für die „arme, politisch und sozial besitzlose Menge“ empfand, es war „das Herz“ gewesen, das ihn bereits in seinem idealistischen Stadium in den Kampf trieb und ihm die Parteinahme diktierte.

Wir erachten diese Tatsachen, die nun dank den vorliegenden Veröffentlichungen in voller Klarheit erscheinen, für außerordentlich wichtig und für wichtiger als je gerade in diesem Augenblick. Wir wohnen seit einiger Zeit dem Prozeß der sogenannten Kritik des wissenschaftlichen Sozialismus in unsren eigenen Reihen bei. Die Haupttendenz dieser „Kritik“ ist – praktisch wie theoretisch – die Zersetzung des Marxschen Lehrgebäudes und die Ausscheidung gerade derjenigen Elemente, die bis jetzt als seine Hauptpfeiler galten: der historischen Begründung durch die objektive Notwendigkeit wie der wissenschaftlichen Begründung durch die ökonomische Analyse. Die rein empirische Beobachtung der Tatsache der Ausbeutung, des „Mehrprodukts“, soll genügen als Basis, das bloße Bewußtsein der

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[1] Karl Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. In: Karl Marx, Friedrich Engels: Werke, Bd. 1. S. 379, 390.