Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 555

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Im Zusammenhang mit zwei Momenten der von uns erlebten Revolutionsphase – mit dem Anfangs- und dem Endstreik dieses Zeitabschnittes – erheben sich hauptsächlich zwei Fragen.

Der allgemeine Streik im Januar, der ausgelöst wurde durch den Arbeiteraufstand und das Blutbad in Petersburg[1] der Ausdruck des politischen Kampfes und ausdrücklich gegen den Despotismus gerichtet war, splitterte sich bald in eine große Anzahl einzelner ökonomischer Streiks auf. Die anfängliche einheitliche Losung: Sturz des Absolutismus und Einberufung der konstitutionellen Versammlung zur Verkündung der Republik im Zarenreich, machte den verschiedensten kleinen Forderungen für jeden Berufszweig Platz. Die revolutionäre Welle zerschlug sich auf der ganzen Linie, versickerte nach einigen Wochen gewissermaßen im Boden, verlief vorübergehend im Sande.

Daraus ergibt sich für jeden denkenden Genossen die Frage: War dieser Übergang zu ökonomischen Streiks nicht ein augenblicklicher Verfall der revolutionären Energie, ein Rückzug, sind die ökonomischen Streiks nicht ein zweckloses Herumbalgen mit dem Kapital, ein vergeblicher Kräfteverlust, und sollte man in Anbetracht dessen einer solchen Zersplitterung eines allgemeinen Streiks nicht entgegenwirken, indem man ihn besser kurz und hart abbricht, solange er in seiner ganzen Kraft als eine politische Demonstration andauert?

In den ersten Maitagen dagegen brach die revolutionäre Energie der Arbeitermasse hervor, und der Streik behielt die Form der rein politischen Demonstration. Aber dafür rollten dieser Streik und die Demonstration mit unaufhaltsamer Kraft dem Zusammenstoß mit dem zaristischen Militär entgegen und endeten mit der Niedermetzelung der wehrlosen Menge, wonach die Arbeitermasse in kraftlosem Zorn die Fäuste ballt. Hier trifft die revolutionäre Welle indessen auf irgendeinen toten Punkt wie auf eine Steinmauer, von der sie zurückprallt. Was ist in Anbetracht dessen zu tun? Wie soll man die Sache von diesem toten Punkt vorwärtsstoßen? Das ist die Frage, die sich aufdrängt und ihre Lösung fordert.

Zwischen diesen beiden. Polen – der Zersplitterung der Bewegung in ökonomische Streiks und dem kraftlosen Schlag gegen die harte Mauer der Bajonette – wird sich die Sache der Revolution wahrscheinlich auch in der nächsten Zukunft bewegen. Wie sollte sich die Sozialdemokratie in Anbetracht dessen verhalten?

Diese beiden Fragen sowie auch alle anderen Probleme des Arbeiterkampfes können nicht anders beantwortet werden als nur dadurch, daß


[1] Siehe S. 479. Fußnote 1.

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