Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 436

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darauf, daß derselbe Gegensatz der zentralistischen und autonomistischen Auffassung in der Sozialdemokratie aller Länder bemerkbar wird, wo sich die revolutionäre und reformistische oder revisionistische Richtung entgegenstehen. Speziell exemplifiziert er mit den jüngsten Vorgängen in der deutschen Partei und mit der Diskussion, die sich um die Frage der Autonomie des Wahlkreises entsponnen hatte. Schon aus diesem Grunde dürfte eine Nachprüfung der Leninschen Parallelen nicht ohne Interesse und ohne Nutzen sein.

Vor allem muß bemerkt werden, daß in der starken Herausstreichung der angeborenen Fähigkeiten der Proletarier zur sozialdemokratischen Organisation und in der Verdächtigung der „akademischen“ Elemente der sozialdemokratischen Bewegung an sich noch nichts „Marxistisch-Revolutionäres“ liegt, vielmehr darin ebensoleicht die Verwandtschaft mit opportunistischen Ansichten nachgewiesen werden kann. Der Antagonismus zwischen dem rein proletarischen Element und der nichtproletarischen sozialistischen Intelligenz – das ist ja der gemeinsame ideologische Schild, unter dem sich der französische halbanarchistische Nurgewerkschaftler mit seinem alten Rufe: Méfiez-vous de politiciens!, das Mißtrauen des englischen Trade-Unionismus gegen die sozialistischen „Phantasten“ und endlich – wenn wir richtig orientiert sind – auch der reine „Ökonomismus“ der ehemaligen Petersburger „Rabotschaja Mysl“ (Arbeitergedanke) mit ihrer Übertragung der trade-unionistischen Borniertheit nach dem absolutistischen Rußland die Hand reichen.

Allerdings läßt sich in der bisherigen Praxis der westeuropäischen Sozialdemokratie ein unleugbarer Zusammenhang zwischen Opportunismus und akademischem Element sowie andererseits zwischen Opportunismus und Dezentralisationstendenzen in den Organisationsfragen bemerken. Löst man aber diese Erscheinungen, die auf einem konkreten historischen Boden entstanden sind, von diesem Zusammenhang los, um sie zu abstrakten Schablonen von allgemeiner und absoluter Gültigkeit zu stempeln, so ist ein solches Verfahren die größte Sünde wider den „Heiligen Geist“ des Marxismus, nämlich gegen seine historisch-dialektische Denkmethode.

Abstrakt genommen, läßt sich nur soviel feststellen, daß der „Akademiker“, als ein seiner Herkunft nach dem Proletariat fremdes, von der Bour-

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