Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 370

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Die Brücke, die Marx zwischen der proletarischen Bewegung, wie sie elementar aus dem Boden der heutigen Gesellschaft emporwächst, und dem Sozialismus errichtet hat, war also: Klassenkampf um die politische Machtergreifung.

Die Bourgeoisie zeigte seit jeher einen sicheren Instinkt, wenn sie besonders die politischen Bestrebungen des Proletariats mit Haß und Furcht verfolgte. Schon im Jahre 1831, als Casimir Perier im November in der französischen Deputiertenkammer über die erste Regung der Arbeiterklasse auf dem Kontinent, über die Revolte der Seidenweber in Lyon, berichtete, sagte er: „Meine Herren, wir können ruhig sein! In der Bewegung der Arbeiter von Lyon ist nichts von Politik zum Vorschein gekommen.“ Jede politische Regung des Proletariats war nämlich für die herrschenden Klassen ein Vorzeichen der herannahenden Emanzipation der Arbeiter von ihrer politischen Bevormundung durch die Bourgeoisie.

Aber erst Marx ist es gelungen, die Politik der Arbeiterklasse auf den Boden des bewußten Klassenkampfes zu stellen und so zur tödlichen Waffe gegen die bestehende Gesellschaftsordnung zu schmieden. Die Basis der heutigen sozialdemokratischen Arbeiterpolitik, das ist nämlich die materialistische Geschichtsauffassung im allgemeinen und die Marxsche Theorie der kapitalistischen Entwicklung im besonderen. Nur für wen das Wesen der sozialdemokratischen Politik und das Wesen des Marxismus gleichermaßen ein Geheimnis ist, kann sich die Sozialdemokratie, überhaupt klassenbewußte Arbeiterpolitik, außerhalb der Marxschen Lehre denken.

Friedrich Engels hat in seinem „Feuerbach“ das Wesen der Philosophie als die ewige Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein, von menschlichem Bewußtsein in der objektiven materiellen Welt formuliert. Übertragen wir die Begriffe von Sein und Denken aus der abstrakten Naturwelt und der individuellen Spekulation, worin die Berufsphilosophen mit der Stange herumfahren, auf das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens, so läßt sich in gewissem Sinne dasselbe vom Sozialismus sagen. Er war seit jeher das Tasten, das Suchen nach Mitteln und Wegen, um das Sein mit dem Denken, nämlich die geschichtlichen Daseinsformen mit dem gesellschaftlichen Bewußtsein, in Einklang zu bringen.

Es war Marx und seinem Freunde Engels vorbehalten, die Lösung der Aufgabe zu finden, an der sich Jahrhunderte gemüht haben. Durch die

Entdeckung, daß die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften in letzter Linie die Geschichte ihrer Produktions- und Austauschverhältnisse ist und

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