Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 1.2, 7., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2000, S. 217

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Stadium einer heraufziehenden regelrechten Straßenrevolution erscheint. Die politische Bedeutung der ruhig streikenden Arbeitermassen lag in Belgien seit jeher und liegt heute noch darin, daß sie im Falle der hartnäckigen Weigerung seitens der Parlamentsmehrheit eventuell bereit und fähig sind, durch Unruhen, durch Straßenrevolten die herrschende Partei niederzuzwingen.

Durch ihre Kompromißallianz mit den Liberalen haben unsere belgischen Genossen dem Generalstreik in beiden Punkten die politische Wirkung genommen.

Indem sie von vornherein auf das Drängen der Liberalen dem Kampfe gesetzliche Schranken und Formen aufoktroyiert und jede Manifestation, jede Regung der Masse verboten haben, verpufften sie die latente politische Kraft des Generalstreiks in die Luft. Einen Massenausstand, der auf jeden Fall nichts als ruhiger Ausstand bleiben wollte, brauchten die Klerikalen als solchen nicht zu fürchten. Ein Generalstreik, im voraus in die Fesseln der Legalität geschmiedet, gleicht einer Kriegsdemonstration mit Kanonen, deren Ladung vorher vor dem Angesicht des Feindes ins Wasser geworfen wurde. Vor einem Drohen „mit den Fäusten in der Tasche“, wie der „Peuple“ in allem Ernste den Streikenden riet, erschreckt nicht einmal ein Kind, geschweige eine um den Rest ihrer politischen Herrschaft auf Tod und Leben ringende Klasse. Deshalb gerade genügte 1891, 1893 die bloße ruhige Arbeitsfeier des belgischen Proletariats, um den Widerstand der Klerikalen zu brechen, weil sie den Umschlag der Ruhe in Unruhe, des Streiks in Revolution befürchten konnten. Deshalb hätte es auch diesmal vielleicht des Gebrauchs der Gewalt seitens der Arbeiterschaft gar nicht bedurft, wenn die Führer nur im voraus die Waffe nicht entladen, den Kriegsmarsch nicht zur Sonntagsparade, den Donner des Generalstreiks nicht zum leeren Schreckschuß gemacht hätten.

Zweitens aber hat die liberale Allianz auch die andere, die mittelbare Wirkung des Massenstreiks vernichtet. Der Druck des Arbeitsausstandes auf die Bourgeoisie hat nur dann politische Bedeutung, wenn sie gezwungen ist, ihn weiter auf ihre politischen Vordermänner, auf die herrschenden Klerikalen abzuwälzen. Dies ist jedoch nur der Fall, wenn sie das Proletariat wie eine ungestüme Jagd im Rücken fühlt, deren Verfolgungen sie sich nicht zu entwinden vermag.

Die bezeichnete Wirkung geht hingegen sofort verloren, wenn die Bourgeoisie in der bequemen Lage ist, statt den empfangenen Druck weiter auf die klerikalen Vordermänner zu leiten, vielmehr auf ihre proletarischen Hintermänner zurückzugreifen und sich des lästigen Druckes durch ein

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