Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 8

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selben ist auch Schneider in Creusot beteiligt. Aber neben Schneider sind Krupp, Thyssen und andere Größen des Deutschen Stahlwerksverbandes darin vertreten. Die sagen: Wenn in Marokko Eisenerze in dem Umfange vorkommen, wie Mannesmann behauptet, dann können wir sie uns selber holen und brauchen uns nicht von Mannesmann ausbeuten zu lassen. Bei der Ausbeutung sind diese Herren viel lieber Subjekt als Objekt. Dieses Gegengewicht wog mehr als alle juristischen und staatsrechtlichen Gründe. Soweit die Herren Mannesmann durch Bohren Eisenerze aufsuchen, haben sie in der letzten Zeit ihre Tätigkeit nach Agadir verlegt. Von dort kam die Klage, daß die Techniker an ihrer Arbeit gehindert würden. Hier haben also Bethmann Hollweg und Kiderlen-Wächter dem Schreien der Mannesmann und Genossen eine Konzession gemacht. Ich glaube aber nicht, daß sie sich weiter drängen lassen, weil sie sonst die Interessen der Großmächte des Stahlwerksverbandes verletzen würden. Also kurz: Ich traue unseren Leitern der auswärtigen Politik jede Dummheit zu, ich glaube aber nicht, daß sie weitergehen, weil sie sonst die Interessen der größten Kapitalisten verletzen könnten, und da haben diese einen scharfen Blick und gebieten rechtzeitig ‚Halt‘.

Würden wir uns vorzeitig so stark engagieren und selbst alle Fragen der inneren Politik hinter die Marokkofrage zurückstellen, so daß daraus eine wirksame Wahlparole gegen uns geschmiedet werden könnte, dann sind die Folgen nicht abzusehen. Denn in Sozialistenhaß und Sozialistenfurcht bleiben Krupp und Thyssen nicht hinter Bethmann Hollweg zurück. Für uns ist es ein Lebensinteresse, die inneren Vorgänge: Steuerpolitik, Agrarierprivilegien, Versicherungsordnung usw., nicht in der Diskussion zurückdrängen zu lassen. Das könnte aber geschehen, wenn wir selbst in jedem Dorfe über die Marokkofrage reden und damit die Gegenströmung fördern würden. Holen sich die Herren Bethmann und Genossen in dem Spiel eine gehörige Niederlage, was bei ihrem notorischen Ungeschick eine Wahrscheinlichkeit ist, dann haben wir zur Wahl ein Argument mehr.“[1]

Wir müssen gestehen, daß uns die Schlüsse, die aus der mit solcher Sachkenntnis geschilderten Marokkoaffäre gezogen sind, sehr wenig ansprechen. Die hohe Politik, auf die sie hinauslaufen, lautet: Überlassen wir es den Granden des Stahlwerksverbandes, der deutschen Aktion in Marokko rechtzeitig ein Halt zu gebieten, und kümmern wir uns selbst sowenig wie möglich um die ganze Schose, denn wir haben uns mit andern Dingen, mit den Reichstagswahlen, zu befassen. Vor allem war es sicher keinem Menschen eingefallen, von der deutschen Partei zu ver-

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[1] Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. IV, S. 348–350.