Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 385

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Noch eine Lehre von Zabern

Ein Redner unserer Fraktion hat bereits bei der letzten Reichstagsdebatte über den Fall Zabern unter lebhafter Zustimmung unserer Abgeordneten laut und deutlich darauf hingewiesen, daß die jüngsten Vorgänge unserer Stellung zur Monarchie einen noch stärkeren Nachdruck verleihen, als das bisher der Fall war.[1]

Es ist mit unserem grundsätzlichen Bekenntnis zur republikanischen Staatsform wie mit allen unseren Programmforderungen. Ihre jeweilige Aktualität, das größere oder geringere Gewicht, das wir jeder einzelnen von ihnen in unserem praktischen Kampfe und in der Agitation beimessen, hängt ganz von den Zeitumständen, von den konkreten Bedingungen ab, die sich nicht durch eine Schablone für alle Zeiten und Länder festlegen lassen. In Frankreich hat die Trennung der Kirche vom Staat, in Holland die Weltlichkeit der Schule, in der Schweiz und in Frankreich das Proportionalwahlrecht eine ganz andere Bedeutung erlangt als in Deutschland, obgleich wir jene Losungen gleichfalls im Programm haben. Andererseits zeigt der Kampf um das preußische Wahlrecht handgreiflich, wie eine Forderung, die jahrzehntelang im Programm geruht hat, erst mit Zeitumständen, gleichsam vom zündenden Funken der Aktualität berührt, in wenigen Jahren zum Mittelpunkt einer großen Volksbewegung werden kann.

In etwas ähnlicher Weise gewinnt jetzt die Losung der Republik allmählich an Aktualität in Deutschland. Nicht in dem Sinne freilich, als ob ihre Verwirklichung mitten in den heutigen Orgien der imperialistischen

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[1] Am 23. Januar 1914 hatte sich Georg Ledebour während der Zaberndebatte im Reichstag (Im November 1913 war es in Zabern [Unterelsaß] zu schweren Ausschreitungen des preußischen Militärs gegenüber den Einwohnern gekommen, die gegen die Beschimpfung der Elsässer durch einen Leutnant der Garnison protestiert hatten. Der Regimentskommandeur Oberst von Reuter ließ die Demonstrationen der Bevölkerung mit Waffengewalt auseinanderjagen und Verhaftungen vornehmen. Diese Vorgänge lösten in ganz Deutschland, selbst bei Teilen des Bürgertums, einen Entrüstungssturm gegen die Militärkamarilla aus, und der Reichstag mißbilligte nach heftigen Debatten mit 293 gegen 54 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen die Stellung der Regierung, die die Vorgänge zu bagatellisieren versuchte. Oberst von Reuter, gegen den vom 5. bis 8. Januar 1914 vor einem Kriegsgericht in Straßburg verhandelt wurde, wurde von aller Schuld freigesprochen und im Januar 1914 vorn deutschen Kaiser demonstrativ mit einem Orden dekoriert.) gegen die Monarchie gewandt und den republikanischen Standpunkt des Proletariats hervorgehoben.