Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 389

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Der gelbe Sklaventanz

Das Unternehmertum und die bürgerliche Presse berauschen sich an den „beispiellosen Erfolgen“ der gelben Organisationen[1]. In der Tat! Welch rascher, plötzlicher Aufschwung in der jüngsten Zeit! Fallen auch die gelben Verbände neben dem mächtigen Bau der freien Gewerkschaften zahlenmäßig kaum ins Gewicht, wer wird bestreiten, daß sie, für sich genommen, äußerst rasch gewachsen sind. Nur ist dieser „Aufschwung“ nichts weniger als beispiellos, und die geschäftigen Agenten des Unternehmertums hätten Grund, nichts mehr mit diskretem Schweigen zu verhüllen als gerade die Plötzlichkeit jenes Aufschwungs, wenn sie überhaupt imstande wären, ihren berufsmäßig bloß auf die „Konjunktur“ gerichteten, durch ordinäre Kapitalspraktiken des Alltags abgestumpften Blick zu erheben und auf die Vorgeschichte ihrer heutigen Methoden zu richten.

Die Versuche, aus den Opfern der Ausbeutung auch noch willige Werkzeuge zur Verewigung des Ausbeutungssystems selbst zu machen, die Unterdrückten begeisterte Anhänglichkeit für ihre eigene Unterdrückung mimen zu lassen, sind so alt und so mannigfach wie die Formen der Ausbeutung und der Klassenherrschaft. Die ökonomische Macht ist von ihren Nutznießern seit jeher nicht bloß dazu benutzt worden, zur eigenen Bereicherung die Arbeitenden physisch wie eine Zitrone auszupressen, sondern sie auch moralisch zu zertreten, ihre Menschenwürde zu verhöhnen, ihre soziale Wehrlosigkeit zu mißbrauchen, um sie an der Befestigung ihrer eigenen Ketten arbeiten zu lassen, um sie die Ketten mit Lust und Jauchzen klirren zu lassen.

Der alte Nettelbeck, der ein ebenso großer deutscher Patriot wie tüch-

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[1] Die nach 1880 entstandenen „gelben“ Gewerkschaften waren von den Unternehmern ausgehaltene Streikbrecherorganisationen, die gegen die revolutionären Arbeiter kämpften. Die Bezeichnung „Gelbe“ stammt aus Frankreich, wo die Mitglieder der Streikbrecherorganisationen die Ginsterblüte als Vereinsabzeichen trugen.