Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 410

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Die Proletarierin

Der Tag der Proletarierin eröffnet die Woche der Sozialdemokratie.[1] Die Partei der Enterbten stellt ihre weibliche Kolonne vor die Front, indem sie zu dem heißen Achttagewerk auszieht, um den Samen des Sozialismus auf neue Äcker zu streuen. Und der Ruf nach politischer Gleichberechtigung der Frauen ist der erste, den sie erhebt, indem sie sich anschickt, für die Forderungen der gesamten Arbeiterklasse neue Anhängerscharen zu werben.

Die moderne Lohnproletarierin tritt so heute auf die öffentliche Bühne als die Vorkämpferin der Arbeiterklasse und zugleich des ganzen weiblichen Geschlechts, die erste Vorkämpferin seit Jahrtausenden.

Schwer hat die Frau des Volkes seit jeher gearbeitet. In der wilden Horde schleppt sie Lasten, sammelt Lebensmittel; in dem primitiven Dorfe pflanzt sie Getreide, mahlt, formt Töpfe; in der Antike als Sklavin bedient sie die Herrschaft und säugt deren Sprößlinge mit ihrer Brust; im Mittelalter front sie in der Spinnstube für den Feudalherrn. Aber seit das Privateigentum besteht, arbeitet die Frau des Volkes meist getrennt von der großen Werkstatt der gesellschaftlichen Produktion, also auch der Kultur, eingepfercht in die häusliche Enge eines armseligen Familiendaseins. Erst der Kapitalismus hat sie aus der Familie gerissen und in das Joch der gesellschaftlichen Produktion gespannt, auf fremde Äcker, in die Werkstätten, auf Bauten, in Büros, in Fabriken und Warenhäuser getrieben. Als bürgerliche Frau ist das Weib ein Parasit der Gesellschaft, ihre Funktion besteht nur im Mitverzehren der Früchte der Ausbeutung;

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[1] Im Jahre 1914 stand der Internationale Frauentag am 8. März im Zeichen des Kampfes für das Wahlrecht und die Gleichberechtigung der Frau. Mit diesem sozialdemokratischen Frauentag wurde die .Rote Woche’ der Partei vom 8. bis 15. März 1914 eingeleitet, die der Agitation für die Sozialdemokratie und ihre Presse diente. Als Ergebnis konnte ein wesentlicher Mitgliederzuwachs und eine Erhöhung der Abonnentenzahl für die Presse verzeichnet werden.