Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 229

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Stellung unsrer Partei bestimmte, ist im entscheidenden Moment, im Kampfe gegen die größte Militärvorlage, stillschweigend in der Versenkung verschwunden. Haben wir hier nur eine erfreuliche Tatsache zu konstatieren, so kann anderseits nicht verschwiegen werden, daß damit nur noch ein Beweis mehr geliefert ist, wie in unsrer Haltung dem Militarismus gegenüber zu viel kurzlebiges Improvisieren und zu wenig wuchtige Sicherheit und Klarheit herrscht. Das Baseler Manifest, das nur in der internationalen Massenaktion des Proletariats, und die Dreibundanhängerschaft, die in der kapitalistischen Diplomatie die Gewähr des Friedens erblickt, das Zentralorgan für die zweijährige Dienstzeit der berittenen Truppen und die Abschaffung des Einjährigenprivilegs und die Fraktion für einjährige Dienstzeit, vor wenigen Monaten Forderung der Abrüstung, heute wieder die alte Forderung der Miliz – man muß gestehen, daß solches Durcheinander nicht geeignet ist, eine kräftige, scharfe und begeisterte Agitation auszulösen, daß es vielmehr eine gewisse Unsicherheit und Schwankung auch in die Massen tragen, zum Teil auf unsre eignen Agitatoren verwirrend und lähmend wirken muß.

II

Leipzig, 7. Juni

Noch in einer Beziehung dürften unsre jüngsten Erfahrungen im Kampfe gegen die Militärvorlage für uns eine heilsame Lehre enthalten. Wenn man sich jetzt vielfach in unsern Reihen darauf beruft, daß „ein Sturm im Lande“ gegen die Militärvorlage sich kaum hervorrufen ließe – wir haben ja die Äußerung des Stampferschen Büros zitiert[1] –, so dürfte dieser Umstand zu einem bedeutenden Teil an der Vorstellung breiter Volkskreise liegen, als sollten die Kosten der neuen Heeresvermehrung nicht von den Arbeitenden, sondern von den Besitzenden getragen werden. Ist dem aber so, dann rächt sich in dieser irrigen Vorstellung der Massen und den irrigen Schlüssen aus ihr unser eigner Fehler, der in der zu einseitigen Betonung des Kostenstandpunkts bei der bisherigen Bekämpfung des Militarismus lag. Wenn man jahrzehntelang in den Vordergrund der Kritik im Reichstag wie auch in Wählerversammlungen die durch den Militarismus verursachten finanziellen Opfer des Volkes stellt, wodurch die politischen Zusammenhänge des deutschen Militarismus

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[1] Seit September 1903 gab Friedrich Stampfer eine politische Korrespondenz für die sozialdemokratische Presse heraus, die der Verbreitung reformistischer Auffassungen diente. In den letzten Vorkriegsjahren druckten etwa vier Fünftel aller sozialdemokratischen Presseorgane deren Artikel ab.