Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 376

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Die künftige Revanche

Die Geschichte ist immer die größte Lehrmeisterin der Politik. Die gegenwärtige Zeitgeschichte aber führt einen deutlicheren Anschauungsunterricht als je.

Was haben die Vorgänge der jüngsten Tage bewiesen? Was haben die Militärs gezeigt, die auf der Zivilbevölkerung ungestraft herumtrampeln, die Kriegsgerichte, die sich über den Reichskanzler lustig machen, der Reichskanzler, der das Mißtrauensvotum der Volksvertretung mit einem Fußtritt erledigt, endlich das persönliche Regiment, das dem Lande einen Nasenstüber versetzt, indem es die Diktatur der Soldateska mit einem Orden schmückt?[1] Sie alle haben binnen wenigen Tagen offen gezeigt, daß Gesetz und Recht in Deutschland Schall und Rauch geworden sind.

Aber die Zaberner Vorgänge haben diese Sachlage nicht geschaffen. Sie haben nur enthüllen und in blitzartiger Beleuchtung zeigen können, was ohne sie, was vor ihnen Tatsache geworden war. Die ungenierte, nackte Herrschaft der absolutistisch-militärischen Reaktion, ihr beispiellos provokatorisches Auftreten sind nur die Rückseite einer anderen Erscheinung: Sie bedeuten die völlige Ausschaltung des bürgerlichen Liberalismus aus dem öffentlichen Leben Deutschlands, die endgültige Abdankung der bürgerlichen Opposition. Nachdem es unzählige Male als Verfechter des liberalen Fortschritts versagt, hat das deutsche Bürgertum nunmehr auch als Hüter des kümmerlichen deutschen Rechtsstaats, des deutschen Konstitutionalismus offiziell seinen Abschied genommen. Und je mehr leere Worte es im Reichstag und in der Presse macht, um so mehr unterstreicht es die eigene Unfähigkeit auch nur zu einer einzigen wirksamen Tat.

Die aus dem Moder der Zeiten durch die schneidigen Militärs von Za-

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[1] Im November 1913 war es in Zabern (Unterelsaß) zu schweren Ausschreitungen des preußischen Militärs gegenüber den Einwohnern gekommen, die gegen die Beschimpfung der Elsässer durch einen Leutnant der Garnison protestiert hatten. Der Regimentskommandeur Oberst von Reuter ließ die Demonstrationen der Bevölkerung mit Waffengewalt auseinanderjagen und Verhaftungen vornehmen. Diese Vorgänge lösten in ganz Deutschland, selbst bei Teilen des Bürgertums, einen Entrüstungssturm gegen die Militärkamarilla aus, und der Reichstag mißbilligte nach heftigen Debatten mit 293 gegen 54 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen die Stellung der Regierung, die die Vorgänge zu bagatellisieren versuchte. Oberst von Reuter, gegen den vom 5. bis 8. Januar 1914 vor einem Kriegsgericht in Straßburg verhandelt wurde, wurde von aller Schuld freigesprochen und im Januar 1914 vorn deutschen Kaiser demonstrativ mit einem Orden dekoriert.