Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 117

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von den Junkern und Antisemiten Mann für Mann oder nahezu so unterstützt wurden. Es gelang uns denn auch nur, 6 Kreise gegen diese reaktionäre Hilfe zu erobern. Ziehen wir das allgemeine Fazit, dann ergibt sich folgende erheiternde oder richtiger betrübende Tatsache:

Mit der Reaktion haben die Liberalen diesmal kein Abkommen getroffen, und sie standen füreinander treu ein.

Mit uns haben die Fortschrittler ein Abkommen geschlossen und verrieten uns nahezu wie 1907.

Was folgt daraus?

Es folgt etwas höchst Einfaches. Es folgt die alte Lehre des historischen Materialismus von Marx, daß reale Klasseninteressen stärker sind als „Abmachungen“, wie materielle Kräfteverhältnisse der Gesellschaft stärker sind als geschriebene Gesetze; daß man mit Kulissenschiebereien und diplomatischen Kabinettstücken nicht scheiden kann, was zusammengehört, und nicht verbinden kann, was sich wie Feuer und Wasser verträgt; daß man auf Verstimmungen zwischen bürgerlichen Parteien nicht eine ernste Politik bauen kann. Und kurz und gut: daß die Abmachung des Parteivorstands mit den Fortschrittlern – in der Sprache Lassalles – ein untauglicher Versuch am untauglichen Objekt mit untauglichen Mitteln war. Es bleibt nur noch, den politischen Grundgedanken dieses Versuchs zu prüfen.

IV

Leipzig, 4. März

Als ein Mittel, uns einen großen Mandatszuwachs zu sichern, hat das Abkommen mit den Fortschrittlern, wie wir gesehen, fast gänzlich versagt. Wo wir der Reaktion mehrere Posten entrissen haben, da brachten wir’s aus eigener Kraft fertig, entgegen dem Verrat des größeren Teils unsrer Bundesgenossen. Wo unsre eigene Kraft dazu nicht ausreichte, da lieferten uns die Fortschrittler richtig der Reaktion ans Messer. Und endlich, wo sie uns unzweideutig und energisch beistanden, wie in den paar bayrischen Kreisen, da geschah es nicht auf Grund des Abkommens mit dem Parteivorstand. Vom rein praktischen Standpunkt also hat sich die eingeschlagene Taktik als eine hohle Nuß erwiesen, wie es ja stets der „praktischen Politik“ zu ergehen pflegt, wenn sie prinzipielle Standpunkte preisgibt. Wir sind überzeugt, daß ohne das Stichwahlabkommen der Ausfall der Wahlen ein nur wenig verändertes Bild geboten hätte. Haben doch die fortschrittlichen Wähler, die für uns stimmten, allem Anschein nach nicht auf Grund der in ihren Reihen höchst lockeren Disziplin und

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