Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 283

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Schon die Frist von wenigen Jahren dürfte genügen, um jene leichtsinnige Erklärung der Fraktion in alle Winde zu zerstreuen und neue Verbrauchssteuern, die die Masse schwer treffen, auf dem Tische des Hauses erscheinen zu lassen!

So sieht das Hauptargument der Fraktionserklärung in der nüchternen Wirklichkeit aus. Doch sehen wir uns nach andern Momenten um.

V

Das zweite Hauptargument der Fraktionsmehrheit, das ihre Zustimmung zu den direkten Steuern für die Militärausgaben rechtfertigen soll, ist die Hoffnung, „daß die damit eingeleitete schärfere Heranziehung der Besitzenden zu den Rüstungskosten dazu beitragen wird, die Sympathie dieser Kreise für eine Fortsetzung der Rüstungstreibereien abzukühlen [Hervorhebung – R. L.] und uns dadurch den Kampf gegen den Militarismus zu erleichtern“[1].

Diese Taktik, die der Bourgeoisie den Militarismus „verekeln“ zu können glaubt, indem sie ihr die Geldausgaben für den Militarismus zu einem Teil aufbürdet, ist auf den sogenannten gesunden Menschenverstand berechnet oder genauer auf eine rein kleinbürgerliche, platte und mechanische Auffassung, die in dem modernen Militarismus lediglich ein „Geschäft“, lediglich eine Geldfrage erblickt, hingegen von der wirtschaftlichen und politischen Funktion des Militarismus in der kapitalistischen Gesellschaft, von seiner fundamentalen Rolle für den Bestand der Klassenherrschaft, von den Tendenzen der heutigen imperialistischen Geschichtsphase gänzlich absieht.

Auch hier brauchte unsre Fraktion nur nach der historischen Erfahrung, nach einem naheliegenden Beispiel zu greifen: Sie brauchte nur nach Großbritannien zu blicken. Dort haben wir das kapitalistische Musterland der direkten Steuern. Dort ist der Besitz längst und in hohem Maße zu den Kosten des Militarismus herangezogen. Nach der Denkschrift des Reichsschatzamts zur Begründung der Deckungsvorlage betragen die Einnahmen aus direkten Steuern (nach den Voranschlägen 1911) im Deutschen Reich 2 Milliarden Mark, in Großbritannien 2,6 Milliarden Mark. Auf den Kopf der Bevölkerung entfallen an direkten Steuern im Deutschen Reich nur 30,89 Mark, in Großbritannien aber 59,27 Mark, d. h.

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[1] Verhandlungen des Reichstags. XIII. Legislaturperiode, I. Session, Bd. 290. Stenographische Berichte, Berlin 1913, S. 5927.