Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 284

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das Doppelte, außerdem aber an Erbschaftssteuer im Deutschen Reich auf den Kopf 95 Pf, in Großbritannien 11,66 Mark. Gerade in den letzten Jahrzehnten ist die Heranziehung der Besitzenden in England zu den Kosten des Staatshaushalts immer energischer betrieben worden. Die direkten Steuern betrugen hier (nach einer andern Berechnung) auf den Kopf im Jahre 1875 7,64 Mark, hingegen im Jahre 1908 26,55 Mark, d. h., sie sind gewachsen um 250 Prozent! Mußte sich da nicht „die Sympathie dieser Kreise für eine Fortsetzung der Rüstungstreibereien abkühlen“, mußte da nicht der britische Militarismus nach und nach zusammenschrumpfen und wie ein welkes Blatt abfallen? Nun, Tatsachen und Zahlen zeigen merkwürdigerweise das umgekehrte Bild. In derselben Zeitspanne von 1875 bis 1908 sind die Ausgaben Englands für Heer und Marine von 16,10 Mark pro Kopf der Bevölkerung auf 26,42 Mark gestiegen. Ja, das Wachstum des Militarismus ging hier wie in den übrigen kapitalistischen Großstaaten in immer rascherem Tempo. Nur in den letzten 25 Jahren, 1883 bis 1908, sind die Ausgaben Englands für Heer und Flotte um 112 Prozent gestiegen. Wir brauchen auch nur einen Blick auf die Kolonialgeschichte Englands zu werfen, um den Zusammenhang dieses Wachstums zu verstehen. Gerade in die Periode des starken Wachstums der direkten Besteuerung seit 1875 fallen ja die gewalttätigsten Vorstöße des britischen Imperialismus: zu Beginn der achtziger Jahre das Verschlucken Ägyptens, das ganze achte Jahrzehnt hindurch das Vorrücken Schlag auf Schlag in Zentral- und Südafrika, in den neunziger Jahren der Burenkrieg[1]. Also gerade in den letzten Jahrzehnten reckt sich und streckt sich der britische Imperialismus zu seiner ganzen Größe aus, und die englische Bourgeoisie, die so schwere direkte Steuern bezahlen muß, kühlt in dieser Zeit ihre Begeisterung für den Militarismus nicht ab, sondern kommt merkwürdigerweise in den letzten zwei Jahrzehnten immer mehr in die Begeisterung hinein. Der Geist Cecil Rhodes’[2], der Niedergang des englischen Liberalismus, Chamberlain und der Jingoismus sind alles Erscheinungen jüngsten Datums, und eine ungeheure Flottenvorlage jagt dort die andre – um die Wette mit unsern Militär- und Flottenvorlagen.

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[1] Nach der Entdeckung von Goldfeldern in Transvaal hatte England im Oktober 1899 einen Krieg gegen die Burenrepublik in Südafrika provoziert. Nach anfänglichen militärischen Schwierigkeiten gelang es England durch einen brutalen Unterdrückungsfeldzug, die Buren im Mai 1902 der britischen Herrschaft zu unterwerfen.

[2] Cecil J. Rhodes, ein Verfechter der englischen Kolonialexpansion, hatte am Ende des 19. Jahrhunderts auf den Zusammenhang zwischen Expansion und Kampf gegen den Sozialismus hingewiesen, indem er erklärte, daß das Empire eine Magenfrage sei, und wer den Bürgerkrieg nicht wolle, müsse Imperialist werden.