Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 146

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Märzenstürme

Wenn die Proletarier je im Wust der Tagespolitik den Maßstab für große und kleine Dinge verlieren, wenn sie je im Staube der öden Lebensstraße ermatten und für einen Augenblick an ihrer Kraft verzweifeln sollten, so gibt es ein sicheres Mittel, diese Stimmung zu überwinden: Es ist das ein Blick auf die zurückgelegte Strecke ihres geschichtlichen Weges, auf der wie große Marksteine die wichtigsten revolutionären Waffengänge des Proletariats stehen. Die Arbeiterklasse hat auch allen Anlaß, ihren geschichtlichen Erinnerungstagen immer wieder ernste Aufmerksamkeit zu schenken. Sind sie doch für uns das große Lehrbuch, das uns Wegweiser für den weiteren Vormarsch gibt, aus dem wir lernen, alte Fehler zu vermeiden und neue Illusionen zu zerstören. Denn nur durch beständige Selbstkritik, durch das Besinnen auf sich selbst vermag die proletarische Masse ihren großen Klassenkampf und ihre großen Ziele zum Siege zu führen. „Bürgerliche Revolutionen“, schrieb Karl Marx vor 65 Jahren, „wie die des achtzehnten Jahrhunderts, stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg, ihre dramatischen Effekte überbieten sich, Menschen und Dinge scheinen in Feuerbrillanten gefaßt, die Ekstase ist der Geist jedes Tages; aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt erreicht, und ein langer Katzenjammer erfaßt die Gesellschaft, ehe sie die Resultate ihrer Drang- und Sturmperiode nüchtern sich aneignen lernt. Proletarische Revolutionen dagegen, wie die des neunzehnten Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst, unterbrechen sich fortwährend in ihrem eignen Lauf, kommen auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem anzufangen, verhöhnen grausam-gründlich die Halbheiten, Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche, scheinen ihren Gegner niederzuwerfen, damit er neue Kräfte aus der Erde sauge

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