Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 430

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Zweierlei Maß

Schon der Vater der Nationalökonomie, Adam Smith, hat vor bald 140 Jahren gesagt: Im Kampfe mit den Arbeitern haben die „Meister“, d. h. die Unternehmer, stets den Vorteil, daß der Zusammenschluß unter ihnen ein viel leichterer ist als unter den Arbeitern. Heute wird das Wort in einer Weise bestätigt, wie der alte Adam es sich nicht hat träumen lassen. Denn auf keinem Gebiete tritt das zweierlei Maß, womit Kapital und Arbeit, Ausbeuter und Ausgebeutete im heutigen Staate gemessen werden, so offen zutage wie in der Behandlung des Rechts auf Organisation. Während das Koalitionsrecht der Arbeiter jetzt durch alle gesetzlichen, gerichtlichen und polizeilichen Schikanen zertrümmert wird, türmen sich die vielfachen Organisationen des Unternehmertums immer höher und trotziger übereinander. Während der Staat den freien Gewerkschaften nur die geballte Faust entgegenhält, hat er alle Hände voll zu tun, um den kapitalistischen Verbänden Wege zu ebnen, sie mit gesetzlichen Garantien zu umgeben, sie wie ein verhätscheltes Kind zu hegen und zu pflegen.

Wie schön haben es da die „Meister“ der Ausbeutung, wenn sie ihre Macht und ihren Druck auf den Staat zusammenballen wollen! Wie viele Arten und Möglichkeiten der Organisation sind ihnen da offen!

Wollen sie der Regierung und Gesetzgebung ihre Wünsche diktieren – dazu stehen ihnen vor allem die Handelskammern zur Verfügung. Hier hat Vater Staat sogar vor liebevoller Sorge für seine kapitalkräftigen Kinder den Organisationszwang eingeführt. Alle im Handelsregister eingetragenen Personen und Gesellschaften sind verpflichtet, den Handelskammern Beiträge zu leisten, und diese sind nach dem Gesetz verpflichtet, „den Staatsbehörden ihre Wahrnehmungen über den Gang des Handels, des Manufakturgewerbes und der Schiffahrt und ihre Ansichten über die

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