Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 425

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noch wird das Volk bis auf den letzten Tropfen ausgesogen durch den nimmersatten Moloch Militarismus. Noch regiert Mars die Stunde. Aber, wie Wallenstein sagte: „Der Tag ist nah, der Tag, der uns gehört.“ So wird auch der Tag nahen, an dem wir, die wir unten stehen, nach oben kommen! Nicht um jene blutige Phantasie einer Meuterei und Niedermetzelung auszuführen, die vor den erschreckten Augen der Staatsanwälte schwebt, nein, wir, die wir zur Macht gelangen werden, um erst eine Gesellschaftsordnung wahr zu machen, die des Menschengeschlechts würdig ist, eine Gesellschaft, die keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen kennt, die keinen Völkermord kennt, eine Gesellschaft, die erst die Ideale sowohl der ältesten Religionsstifter wie auch der größten Philosophen der Menschheit verwirklichen wird, um diesen Tag, der anbricht, herbeizuführen so schnell wie möglich, dazu müssen wir unsere äußersten Kräfte einsetzen, ohne auf jeglichen Erfolg zu schauen, zum Trotz allen Staatsanwälten, zum Trotz aller militärischen Macht. Zur Wirklichkeit wird unsere Losung werden: Mit uns das Volk, mit uns der Sieg! (Lang anhaltender, stürmischer Beifall.)

II

Die Logik der ethischen Sozialisten hat ein Loch, weil diese keine Klasse hinter sich haben. Sie sind gute Leute, aber schlechte Musikanten in der Politik. Ein Gerhart Hauptmann hat es fertiggebracht, ein Jahrhundertfestspiel zu dichten, und der monistische Führer Ostwald mußte sich vorn „Berliner Tageblatt“ an einem Artikel, der für die Friedensbestrebungen eintrat, große Streichungen gefallen lassen. Hammerschlag meint, das Proletariat werde einen etwaigen Sieg nicht ausnützen, weil es ihm gleichsam an Führern fehlen werde. Er hat die gebildete Oberschicht als jene bezeichnet, die uns die Kandidaten der Führerschaft stellen soll. Darin irrt er. Das ist ja das Große an der sozialistischen Bewegung, daß sie keine Führer braucht, die außerhalb ihrer Klasse stehen. Sie schafft sich selbst ihre Führer, und darin steht sie in der Weltgeschichte einzig da, daß die Massen nicht bloß der passive Chor sind und die Revolution ein Werk der Minderheit. Wir wollen eine Bewegung der Mehrheit, in der die Massen das handelnde Element sind. Aus eigenem Willen und eigener Kraft sollen sie ihr Ziel erreichen. Die Ethik des Sozialismus besteht darin, die jetzige Herrschaft der Minderheit durch die Herrschaft der Mehrheit zu brechen.

Volkswacht (Freiburg i. Br.),

Nr. 57 vom 9. März 1914.

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