Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 456

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Nochmals der preußische Wahlrechtskampf

Durch die Berliner Protestversammlungen am 26. Mai ist im preußischen Wahlrechtskampf der Stein ins Rollen gekommen. Die Berliner Arbeiterschaft hat an ihrem Teil eine würdige Antwort auf die Loebellsche Herausforderung[1] erteilt, indem sie in siebzehn glänzend besuchten, von bester Kampfstimmung getragenen Versammlungen den Auftakt zum Kampf in ganz Preußen gab. In einigen Wahlkreisen sprach sie in scharf pointierten Resolutionen ihre Überzeugung aus, daß die Versammlungen vom 26. Mai nur der erste Schritt einer erneuten Kampfaktion um das preußische Wahlrecht sein können, die sich naturgemäß steigern müsse, bis sie im politischen Massenstreik die einzig wirksame höchste Machtentfaltung der proletarischen Massen erreicht. Und genau im gleichen Sinne rief das Zentralorgan, der „Vorwärts“, in seiner Aufforderung zu jenen Berliner Versammlungen: „Die zweite Etappe der Wahlrechtsbewegung beginnt! Formiert die Sturmkolonnen zum Wahlrechtskampfe!“[2] Sowohl das Zentralorgan der Partei, das ja mit den leitenden Instanzen in so wichtigen Fragen naturgemäß Fühlung haben muß, wie die Berliner Arbeiterschaft, die ebenso naturgemäß zur Führung im preußischen Wahlrechtskampf berufen ist, haben in unzweideutiger Weise den Appell an die gesamte Partei in Preußen gerichtet, nunmehr in den Kampf auf der ganzen Linie zu treten. Durch dieses Vorgehen des Zentralorgans wie der Berliner Leitung ist aber die Gesamtpartei vor eine ernste Pflicht gestellt worden. Es ist klar, daß eine Organisation von unserer Größe und Bedeutung nicht leichtfertig Drohungen und Kampfansagen in die Welt hinausschmettern kann, ohne ihnen entsprechende Aktionen folgen zu lassen. Es ist klar,

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[1] Am 18. Mai 1914 hatte der preußische Innenminister Friedrich Wilhelm von Loebell im preußischen Abgeordnetenhaus provokatorisch betont, daß die Regierung nicht beabsichtige, eine Verstärkung des Einflusses der Massen und eine Demokratisierung des Wahlrechts vorzunehmen.

[2] Volkstrutz gegen Junkertrutz. In: Vorwärts (Berlin), Nr. 139 vom 24. Mai 1914.