Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 457

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daß eine Viermillionenpartei nicht offiziell erklären kann: „Die zweite Etappe der Wahlrechtsbewegung beginnt!“ um hinterdrein keinen Finger zu rühren zur Verwirklichung dieser angesagten „zweiten Etappe“. Wir würden uns ja bei Freund und Feind lächerlich machen und die Aussichten des preußischen Wahlrechtskampfes für längere Zukunft ernstlich gefährden, wenn wir in den Massen den falschen Verdacht aufkommen ließen, als stände hinter unseren Kampfparolen kein ernster Wille zur Tat, als wären wir fähig, nach Art der Liberalen dröhnende Ouvertüren mit kläglichem Versagen der Kampflust zu paaren. Und schließlich vergessen wir nicht, daß auf die deutsche Sozialdemokratie die Blicke der gesamten Internationale gerichtet sind. Die Berliner Protestversammlungen und die herzerfrischende Kampfparole des „Vorwärts“ haben im Auslande das freudigste Echo gefunden. So schrieb Genosse Bracke in der Pariser „Humanité“ am 31. Mai zum Schluß eines ausführlichen Artikels über die beginnende „zweite Etappe der Wahlrechtsbewegung“: „Die deutsche Sozialdemokratie nimmt also von nun an den Kampf um das gleiche Wahlrecht wieder auf. Auf mehreren Parteitagen hat sie beschlossen, ihn unermüdlich zu führen und, falls es nicht im Parlament ginge, das Wahlrecht auf der Straße zu erobern. Sie erklärte auch, daß nötigenfalls die Waffe des Massenstreiks in diesem Kampfe in Anwendung kommen würde … Die Versammlungen sind nun im Gange, die Parteipresse tut das Ihrige, die Flugblätter werden verteilt. Man kann sich auf die deutsche Arbeiterklasse verlassen, daß sie den Kampf bis zu Ende führen wird. Sie kämpft ja nicht für sich allein, sondern für das Proletariat der ganzen Welt.“ Ebenso ernst und aufmerksam wird der preußische Kampf im übrigen Ausland verfolgt.

Inzwischen scheint die preußische Parteizentrale mit der nötigen Initiative zur Aktion im ganzen Lande etwas zu zögern. Es mag dabei zu einem großen Teil die übliche Unterschätzung der Kampflust der Massen eine Rolle spielen. Für verantwortliche Organe einer großen Massenpartei wird es in gewöhnlichen Zeiten immer ein mehr oder minder schwerer Entschluß sein, die erste Parole zu großen Aktionen zu geben, ohne die Sicherheit zu haben, daß der Parole an Umfang und Wucht würdige Aktionen auf dem Fuße folgen werden. Allein eine solche Sicherheit kann gerade eine Massenpartei nie im voraus in der Tasche haben, und gewonnen kann sie erst recht nicht werden, wenn sich die leitenden Organe vor lauter Bedenken zu gar keiner Initiative entschließen können. Wer die unvergeßliche Demonstrationsbewegung des Jahres 1910 in Preußen erlebt hat[1],

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[1] Im Frühjahr 1910 hatte sich in ganz Deutschland eine Massenbewegung für die Erringung des allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts zum preußischen Landtag entwickelt. Rosa Luxemburg verteidigte die Anwendung des politischen Massenstreiks als objektiv notwendiges Kampfmittel gegenüber der Absicht des Parteivorstandes, die Wahlrechtsbewegung in den alten Bahnen des Parlamentarismus zu belassen, um angeblich die Reichstagswahlen 1912 nicht zu gefährden.