III Rede zur Steuerfrage
[1]Wir haben den originellen und nach meiner Erfahrung einzig dastehenden Fall erlebt, daß in einer hochwichtigen Frage des Parteilebens, in der sich in der Fraktion zwei ausgesprochene Meinungen gegenüberstanden, wir hier zwei Referenten für eine Meinung und gar keinen Referenten für die entgegengesetzte Meinung haben hören müssen.[2] („Sehr wahr!“) Dieser Fall birgt noch eine andere Originalität, nämlich daß einer der Referenten, der, der am längsten sprach, gegen die Ansicht sprach, die er vor kurzer Zeit noch selbst vertreten hatte. (Lebhafte Zustimmung.) Die Rede Wurms war nach Ansicht aller seiner jetzigen Gesinnungsgenossen geradezu vernichtend für alle Unterzeichner der Resolution 114[3]. Es rasselten nur so Worte von politischer Unfruchtbarkeit, widersinnigen Widersprüchen, politischem Bankerott usw. auf uns nieder. Wurm hat
[1] Redaktionelle Überschrift.
[2] Es handelt sich um die Zustimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zum Wehrbeitrag und zur Vermögenszuwachssteuer am 30. Juni 1913 im Reichstag.
[3] Diese Resolution zur Steuerfrage, eingebracht von Friedrich Geyer und 81 Sozialdemokraten, hatte folgenden Wortlaut: „Alle öffentlichen Steuern im heutigen Klassenstaat, ob formell auf den Besitz oder auf den Arbeitsverdienst gelegt, ob als sogenannte direkte oder als indirekte Steuern erhoben, werden in letzter Linie von den arbeitenden Klassen aufgebracht, da diese es sind, die in der heutigen Gesellschaft allen gesellschaftlichen Reichtum schaffen.
Wie immer das Steuerwesen heute ausgestaltet ist, auch in dem für die Arbeiterklasse günstigsten Falle, wenn die Besitzsteuern den überwiegenden Teil der Staatshaushaltskosten decken, ändert das nichts an den Grundlagen der kapitalistischen Produktion, die auf Ausbeutung und Klassenherrschaft beruht.
Die Abwälzung des größten Teiles der öffentlichen Lasten auf die Schultern der arbeitenden Klassen durch das System der indirekten oder Verbrauchssteuern ist aber eins der wirksamsten Mittel der herrschenden Klassen, um die Lebenshaltung der Arbeiterschaft herabzudrücken und ihren sozialen und geistigen Aufstieg zu hemmen.
Der Parteitag fordert deshalb gemäß Punkt 10 des Parteiprogramms:,Stufenweise steigende Einkommen- und Vermögenssteuer zur Bestreitung aller öffentlichen Ausgaben, soweit diese durch Steuern zu decken sind. Selbsteinschätzungspflicht. Erbschaftssteuer, stufenweise steigend nach Umfang des Erbguts und nach dem Grade der Verwandtschaft. Abschaffung aller indirekten Steuern, Zölle und sonstigen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, welche die Interessen der Allgemeinheit den Interessen einer bevorzugten Minderheit opfern.’
Ferner erklärt der Parteitag:
Der Militarismus ist als das stärkste Machtmittel der herrschenden Klassen auf das äußerste zu bekämpfen.
Alle Gesetzesvorlagen, die zur Stärkung des Militarismus dem Reichstage vorgelegt werden, also auch Steuervorlagen, die zur Deckung der Kosten des Militarismus eingebracht werden, sind, ob sie direkte oder indirekte Steuern fordern, abzulehnen.
Für sonstige Steuervorlagen ist die Stellung der sozialdemokratischen Fraktion durch Punkt 10 des Parteiprogramms vorgeschrieben: bestehende indirekte Steuern sind durch direkte zu ersetzen.“ (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitages der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Abgehalten in Jena vom 14. bis 20. September 1913, Berlin 1913, S. 197 f.)