Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 105

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drücklich erklärt, daß Stichwahlabmachungen Sache der einzelnen Kreise sind, zum Abschluß eines generellen Abkommens, sozusagen zu einem „Zentraltarif“ für das ganze Reich zu bringen. Zwar pflegten bis jetzt selbst die Abmachungen und Losungen der Kreisvorstände der Fortschrittspartei für ihre Wähler häufig so gut Luft zu bleiben wie die Mahnungen des Zentralvorstands oder des Provinzialvorstands für die Kreisvorstände; zwar fehlt der Fortschrittspartei jede stramme Parteiorganisation und jede Parteidisziplin, um solche generellen Abmachungen zu etwas mehr als einem Messer ohne Heft und Klinge zu machen; zwar wurde der Abmachung durch ihre Heimlichkeit und ihre verschleierte Parole auch noch die Hälfte der Wirksamkeit genommen, die sie etwa hätte haben können, gleichwohl scheint die Idee der Generalabmachung unserm Parteivorstand in allem Ernst als höchst wertvolle Errungenschaft erschienen zu sein, und es blieb nur übrig, die Probe aufs Exempel wieder einmal zu erleben.

II

Leipzig, 1. März Wäre die Abmachung mit dem bisherigen erschöpft gewesen, man muß gestehen, daß auch so der Löwenanteil der Vorteile den Fortschrittlern zugesichert war. Aber dabei ist es nicht geblieben. Die Fortschrittler forderten noch mehr. Sie forderten, daß wir ihnen nicht bloß gegen die Reaktion aus der Patsche helfen, sondern daß wir ihnen auch Wahlkreise, in denen wir selbst in Stichwahl mit ihnen standen, freiwillig auslieferten. Dadurch, daß die Fortschrittler keinen Block mit der Reaktion abschlos­sen und sich die reaktionäre Wahlhilfe womöglich verscherzten, kamen sie in die Gefahr, von uns in einer Reihe von Kreisen geschlagen zu werden. Und von dieser Gefahr sollten wir sie selbst retten, indem wir freiwillig auf den Kampf verzichteten. Die Abmachung mit uns sollte für die Fortschrittler eine Versicherung gegen die Reaktion und eine Rückversicherung gegen uns selbst zugleich sein!

Man könnte über die Dreistigkeit dieser fortschrittlichen Zumutung erstaunt sein, wenn nicht die viel verwunderlichereTatsache eingetreten wäre: nämlich die Zustimmung unseres Parteivorstandes. Der Parteivorstand hat tatsächlich die folgende Forderung den Fortschrittlern zugebilligt:

In 16 Wahlkreisen (Oberbarnim, Liegnitz, Schönau-Hirschberg, Flensburg-Apenrade, Lauenburg, Merseburg-Querfurt, Hagen, Dithmarschen, Calw, Balingen, Meiningen, Schaumburg-Lippe, Lippe-Detmold, Oldenburg I und II, Nordhausen), in denen unsre eigenen Kandidaten in Stich-

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