Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 395

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Verteidigungsrede am 20. Februar 1914 vor der Frankfurter Strafkammer

[1]

Nach einem Zeitungsbericht

Meine Verteidiger haben die Tatbestandsmerkmale der Anklage auf ihre Nichtigkeit hin juristisch hinreichend beleuchtet. Ich möchte deshalb die Anklage von einer anderen Seite beleuchten. Sowohl in der heutigen mündlichen Ausführung des Herrn Staatsanwalts wie in seiner schriftlichen Anklage spielt nicht bloß der Wortlaut der inkriminierten Äußerungen meinerseits eine große Rolle, sondern noch mehr die Auslegung und die Tendenz, die diesen Worten innegewohnt haben soll. Wiederholt und mit dem größten Nachdruck betonte der Herr Staatsanwalt das, was ich nach seiner Auffassung wußte und wollte, während ich meine Äußerungen in jenen Versammlungen machte. Nun, über dieses innere psychologische Moment meiner Rede, über mein Bewußtsein ist wohl niemand kompetenter als ich in der Lage, vollen und gründlichen Aufschluß zu geben.

Und ich will im voraus bemerken: Ich bin sehr gern bereit, dem Herrn Staatsanwalt und Ihnen, meine Herren Richter, vollen Aufschluß zu geben. Um die Hauptsache vorwegzunehmen, möchte ich erklären, daß das, was der Herr Staatsanwalt hier, gestützt auf die Aussagen seiner Kronzeugen[2], als meine Gedankengänge, als meine Absichten und meine

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[1] Redaktionelle Überschrift. – Am 20. Februar 1914 wurde vor der 2. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt (Main) ein Prozeß gegen Rosa Luxemburg durchgeführt, weil sie in zwei Versammlungen – in Fechenheim am 25. September 1913 und in Bockenheim am 26. September 1913 – zum Kampf gegen die Kriegsgefahr aufgerufen und die Arbeiter aufgefordert hatte, im Falle eines Krieges nicht auf ihre Klassenbrüder in Frankreich und in anderen Ländern zu schießen. Rosa Luxemburg wurde zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Gegen das Urteil fanden im Februar und März 1914 in vielen Städten Deutschlands Protestkundgebungen statt.

[2] Kronzeugen des Staatsanwalts waren ein gewisser Henrici, auf dessen Denunziation hin der Prozeß gegen Rosa Luxemburg eingeleitet worden war, und bürgerliche Journalisten, die an der Versammlung in Fechenheim teilgenommen hatten.