Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 37

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Wieder Masse und Führer

Leipzig, 29. August

Von allen Seiten kommen Nachrichten über die von unsrer Partei veranstalteten Versammlungen und Demonstrationen gegen die Weltpolitik und den Marokkokurs[1]. Überall antworten die Volksmassen auf unsern Appell[2] mit der größten Begeisterung, und dies beweist, wie sehr wir den Empfindungen und der Stimmung der Massen entgegenkommen, indem wir ihnen politischen Ausdruck verleihen, Losung und Richtung geben. Es herrscht jetzt in der gesamten Partei nur eine Meinung darüber, daß eine Massenaktion gegen die Marokkoaffäre, daß eine energische Agitation auf dem Gebiete der Weltpolitik unabweisbare Aufgabe der Sozialdemokratie und dringende Notwendigkeit war.

Und nun drängt sich von selbst die Frage auf: Warum ist diese Aktion nicht schon vor einem Monat, vor zwei Monaten begonnen worden? Die Absendung des deutschen Kanonenboots nach Agadir, mit der Deutschland offiziell in die Marokkoaffäre eingriff, ist am 2. Juli geschehen. Bereits in der ersten Juliwoche war die Protestaktion der französischen und spanischen Sozialisten in vollem Gange. Statt gleich damals mit aller Wucht die Agitation einzuleiten, kommen wir hinterdrein und schleppen uns im Schwange der Ereignisse um mindestens einen bis anderthalb Monate zu spät. Unsre politische Schlagfertigkeit hat in diesem wichtigen Falle viel zu wünschen übriggelassen. Warum?

Man wird antworten: Der Parteivorstand hat einen bedauerlichen Mangel an Initiative bewiesen. Seine Aufforderung zur Aktion erschien erst am 9. August, und so konnten die Versammlungen erst in der zweiten Hälfte des August beginnen. Ja, aber mußte denn die Partei erst auf

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[1] Siehe S. 5, Fußnote 1.

[2] Siehe S. 32, Fußnote 1.