Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 367

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Die Bilanz von Zabern

Wie der Reuter-Prozeß in Straßburg auch ausgehen mag, er wird an der Hauptsache nichts ändern, daß nach der Zabernaffäre[1] wie vor ihr alles beim alten bleibt. Wer von der gelinden Bestrafung eines Leutnants und eines Obersten im Elsaß einen grundstürzenden Umschwung der deutschen Verhältnisse datieren möchte, wäre würdig, zum Ehrenmitglied des freisinnigen Parteivorstandes ernannt zu werden. Nachdem sich der Sturm im Glase Wasser gelegt haben wird, dessen letzte Wellen sich eben kräuseln, bleibt unerschüttert die überragende Herrscherstellung des Militarismus im gesamten öffentlichen Leben des Reiches, genauso wie die reale Machtstellung der hinter dem persönlichen Regiment verschanzten Reaktion gegenüber dem deutschen Scheinparlamentarismus unerschüttert bleibt. Höchstens daß sich nach dem famosen Mißtrauensvotum der bürgerlichen Mehrheit an den Reichstag die Jämmerlichkeit dieses Parlaments noch drastischer von dem trotzigen Ubermut der junkerlichen Reaktion abhebt. Ist es doch ein Elementarsatz jeder Kampfstrategie, daß nichts so die Schwäche der Position verrät und den Feind ermutigt wie rasselnde Kampfansagen, denen kein Ansturm mit der gesamten Macht auf dem Fuße folgt.

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[1] Im November 1913 war es in Zabern (Unterelsaß) zu schweren Ausschreitungen des preußischen Militärs gegenüber den Einwohnern gekommen, die gegen die Beschimpfung der Elsässer durch einen Leutnant der Garnison protestiert hatten. Der Regimentskommandeur Oberst von Reuter ließ die Demonstrationen der Bevölkerung mit Waffengewalt auseinanderjagen und Verhaftungen vornehmen. Diese Vorgänge lösten in ganz Deutschland, selbst bei Teilen des Bürgertums, einen Entrüstungssturm gegen die Militärkamarilla aus, und der Reichstag mißbilligte nach heftigen Debatten mit 293 gegen 54 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen die Stellung der Regierung, die die Vorgänge zu bagatellisieren versuchte. Oberst von Reuter, gegen den vom 5. bis 8. Januar 1914 vor einem Kriegsgericht in Straßburg verhandelt wurde, wurde von aller Schuld freigesprochen und im Januar 1914 vorn deutschen Kaiser demonstrativ mit einem Orden dekoriert.