Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 471

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Gegen die Vertagung des Prozesses. Rede am 3. Juli 1914 im Prozeß vor dem Berliner Landgericht

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Nach einem Zeitungsbericht

Auch ich widerspreche auf das entschiedenste der Vertagung. Wenn ich die Erklärung des Kriegsministers richtig verstanden habe, so hat er gesagt, er betrachte die Beweisführung über die schweren Fälle hinaus für überflüssig. Ich wende mich gegen diese völlige Verschiebung des Beweisthemas. Ich habe bereits wiederholt in diesem Verfahren erklärt, daß ich nicht behauptet habe oder behaupten wollte, daß schwere Dramen im Sinne des Kriegsministers und des Staatsanwalts sich tagaus, tagein ereignen, obwohl ich dies auch nicht in Abrede stelle. Ich sage: Ein Drama ist jede Mißhandlung, erst recht natürlich solche, die zu Selbstmord oder Fahnenflucht oder sonstigen schweren Folgen führen. Alle die Mißhandlungen, die hier bewiesen werden sollen, sind Dramen, und ich bestehe darauf, daß dieses Thema verhandelt wird. Es kann auch bewiesen werden, daß die täglichen Fälle auch von den Zeugen als Dramen aufgefaßt werden. Es würde eine völlige Verschiebung des Beweisthemas sein, wenn man statt dessen, was ich gesagt habe, das Beweisthema anders gestaltet und dem Kriegsminister eine Nachprüfung darüber zugesteht, ob Dramen nach seiner Auffassung vorliegen. Ich will das an einigen Beispielen erläutern, die auch schon im Reichstage zur Sprache gekommen sind.

Ein Unteroffizier in der 6. Kompanie des Infanterieregiments 137 hat

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[1] Redaktionelle Überschrift. – Vom 29. Juni bis 3. Juli 1914 wurde vor der 4. Strafkammer des Landgerichts II in Berlin ein vom Kriegsminister geforderter Prozeß gegen Rosa Luxemburg durchgeführt. Sie wurde beschuldigt, durch Anprangerung der Soldatenmißhandlungen die Offiziere und Unteroffiziere des Heeres beleidigt zu haben. (Diese Äußerung veranlaßte den Kriegsminister General Erich von Falkenhayn, bei der Berliner Staatsanwaltschaft Strafantrag gegen Rosa Luxemburg zu stellen wegen Beleidigung der Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten der preußischen Armee.) Zur Beweisführung stellten sich über 1 000 Opfer von Soldatenmißhandlungen als Zeugen zur Verfügung, bereit, Rosa Luxemburgs Anklage gegen den Militarismus zu unterstützen. Unter dem Eindruck der Beweise zog es die Klassenjustiz vor, den Prozeß auf unbestimmte Zeit zu vertagen. Rosa Luxemburg und ihre Verteidiger protestierten nachdrücklich gegen diese Vertagung.