Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 166

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Schlag auf Schlag

In der letzten Zeit überstürzen sich Ereignisse, die geeignet sind, dem sozialistischen Proletariat ernste und eindringliche Lehren über seine Klassenpolitik zu erteilen. Seit einer Reihe von Jahren hat sich in der Arbeiterbewegung verschiedener Länder eine Strömung durchzusetzen versucht, die die Notwendigkeit des Zusammengehens der proletarischen Partei mit dem bürgerlichen Liberalismus predigt. Die Beweisführung für die empfohlene Taktik ist äußerst einfach und ansprechend. Zwar sind Sozialismus und Liberalismus unversöhnliche Gegensätze, zwar sind Proletariat und Bourgeoisie geborene Todfeinde, und die Endziele beider laufen einander schnurstracks zuwider. Das Proletariat muß die Abschaffung der heutigen Gesellschaftsordnung als seine geschichtliche Aufgabe betrachten, während das liberale Bürgertum umgekehrt die Verewigung der Ausbeutung und der kapitalistischen Klassenherrschaft anstrebt. Aber gibt es denn nicht trotz alledem eine ganze Reihe von näherliegenden Interessen und Aufgaben, die der kämpfenden Arbeiterklasse und der liberalen Bourgeoisie gemeinsam sind? Da ist vor allem das große Gebiet des Kampfes gegen den gemeinsamen Feind, die offene politische Reaktion. In jedem modernen kapitalistischen Staate gibt es noch mächtige soziale Schichten als Überbleibsel der vergangenen feudalen Periode der Geschichte. So das konservative Junkertum, das am liebsten das gesamte moderne Verfassungsleben, Preßfreiheit, Versammlungsrecht, Freizügigkeit abschaffen möchte. So der Klerikalismus, der danach trachtet, das ganze geistige Leben des Volkes im Banne zu halten, die Schule zu verpfaffen, Kunst und wissenschaftliche Forschung zu hemmen. Gegen diese konservativ-klerikalen Mächte der Finsternis müßten Sozialdemokratie und Liberalismus gemeinsame Sache machen. Erst müßten diese ärgsten

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