Rosa Luxemburg Werke [RLW], Berlin 1970ff., Bd. 3, 6., überarbeitete Auflage, Karl Dietz Verlag Berlin 2003, S. 279

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unweigerlich an ihrer Stelle jederzeit eine neue volksfeindliche Verbrauchssteuer.

Dieser finanzpolitischen Weisheit verlohnt es sich in jeder Hinsicht, genaue Aufmerksamkeit zu schenken.

IV

Die Auffassung unsrer Fraktionsmehrheit, die darauf hinausläuft, daß man eigentlich jede direkte Steuer als eine „Verhütung“ indirekter Steuern zu betrachten habe, beruht auf der Annahme, daß die Einführung indirekter Steuern an sich überhaupt jederzeit und in jedem Umfang möglich ist, wenn sich nur der gute Wille der Parlamentsmehrheit dazu bereit findet. Demnach würde an Stelle jeder abgelehnten direkten Steuer unweigerlich eine oder mehrere indirekte, volksbelastende treten.

Diese Auffassung ist finanzpolitisch und ökonomisch total verfehlt. Die Einführung von steuerlichen Belastungen des Massenverbrauchs als nackte parlamentarische Machtfragen betrachten hieße für jeden ernsteren Politiker, auch aus dem bürgerlichen Lager, sich ein Armutszeugnis ausstellen. Der unfähigste preußische Finanzminister wird nicht eine solche steuerpolitische Maxime zu vertreten wagen, und wagte er es, so würde er verdienen, wegen Mangel an elementarer ökonomischer Vorbildung vom Amte weggejagt zu werden. Auch hier haben es die herrschenden Klassen denn doch nicht gar so bequem mit dem Herrschen, sie sind vielmehr in ihrer Ausplünderungspolitik im Staate wie auch in dem industriellen Privatbetriebe an gewisse objektive Schranken gebunden: an die jeweilige wirtschaftliche Konjunktur und an die Leistungsfähigkeit des Ausbeutungsobjekts, der arbeitenden Massen. Es ist schon eine elementare Erkenntnis der Finanzpolitik, daß jedes neue Steuerbündel, das dem Verkehr und den Konsumenten aufgebürdet wird, eine gewisse Zeit erfordert, in der sich die Gewohnheiten, Beziehungen und das Lebensniveau der Masse an die neuen Anforderungen anpassen. Soweit die Rücksichtslosigkeit und der Appetit der bürgerlichen Mehrheit und der Regierung gehen mögen, sie müssen auch im Einführen von indirekten Steuern und Zöllen gewisse Pausen und ein gewisses Maß beobachten, denn wird dieses überspannt, so versiegt einfach die Quelle, und die Einnahmen gehen zurück, statt zu wachsen. Wenn wir jetzt in Deutschland den einmaligen Wehrbeitrag und die Reichsvermögenszuwachssteuer gekriegt haben, so vor allem deshalb, weil sowohl die Reichsregierung wie die

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